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Liebling der Götter

Liebling der Götter

Titel: Liebling der Götter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Holt
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Stapel Karten. Von irgendwoher dämpfte jemand die Beleuchtung. Es herrschte Grabesstille.
    »Also«, sprach der gottesfürchtige George feierlich, »ich bin sicher, ich brauche Sie nicht an die Spielregeln zu erinnern. In der ersten Runde geht es ausschließlich um Ihr Wissen in religiösen Fragen. Für jede falsch beantwortete Frage erhalten Sie Gelegenheit, fünftausend Jahre in der tiefsten Schwefelhölle zu verbringen – natürlich erst nach Ihrem Tod, obwohl ich Ihnen sicherlich nicht zu sagen brauche, daß das Leben nur ein Traum ist. Für jede richtige Antwort bekommen Sie fünf Denar, die Sie dem Gott Ihrer Wahl darbringen dürfen, wenn wir nachher ›Opfer des Jahrhunderts‹ spielen – natürlich immer vorausgesetzt, daß Sie so lange leben. Also gut, Flavius, Sie können jetzt wählen, ob Sie Fragen aus dem Bereich Mythos, Orthodoxie oder Häresie beantworten möchten.«
    »Mythos, bitte«, sagte Mr. Constans.
    »Sie haben sich für den Bereich Mythos entschieden und haben jetzt fünf Sekunden Zeit, die folgende Frage zu beantworten«, erklärte der gottesfürchtige George.
    Die Beleuchtung wurde noch einen Hauch gedämpfter. In die Stille hätte man ganze Hochhäuser hineinstellen können, so tief war sie.
    »Beantworten Sie mir also folgende Frage, Flavius«, holte der gottesfürchtige George aus, und Jason spürte, wie die Innenflächen seiner Hände ausgesprochen feucht wurden, »wie lauten die Namen der Töchter von König Adrastos in der Sage ›Sieben gegen Theben‹?«
    Mr. Constans schien zu erstarren. Irgendwo hinter den Kulissen schlug eine große Trommel im Takt der verstreichenden Sekunden: eins, zwei, drei …
    »Deipyle!« krächzte Mr. Constans.
    »Und?«
    »Argeia!«
    »Richtig!« Die Zuschauer sackten erleichtert zusammen, und irgendwer schrie nun tatsächlich »Halleluja«. »Der Himmel sei gepriesen, Mister Constans«, jubelte der gottesfürchtige George, »Deipyle und Argeia ist richtig! Nun, Mister Constans, die zweite Frage lautet …«
    Zu seiner grenzenlosen Überraschung wußte Jason die Antwort darauf (wer entwendete Orestes’ Gebeine aus Tegea?), was man allerdings keineswegs von Mr. Constans behaupten konnte. Beim fünften Trommelschlag stieß er »Merkur!« hervor, und die Stille in der Halle vertiefte sich ins schier Bodenlose. Eine wilde Vermutung. Beim Gedanken daran, welche Belohnung man für eine wilde Vermutung erhielt, schauderte Jason. Mit ziemlicher Sicherheit gab es als Andenken kein Scheckbuch mit Kugelschreiber.
    »Tut mir leid«, bedauerte der gottesfürchtige George, »aber die Sonne hat es an den Tag gebracht, Mister Constans. Die Antwort lautet natürlich Lichas. Vermutlich lag Ihnen der Name auf der Zunge, oder? Nun ja, im Tartaros haben Sie nun fünftausend Jahre Zeit, darüber nachzudenken, nicht wahr? Also schön: Missis Constans! Möchten Sie Fragen aus dem Bereich Mythos, Orthodoxie oder Häresie beantworten?«
    Mrs. Constans entfuhr ein klägliches Quieken.
    »Also Häresie. Nun, in den abscheulichen Riten der Paphlagonier …«
    Mrs. Constans schnitt nicht so furchtbar gut ab.
    »Ach je«, seufzte der gottesfürchtige George, »das sind zwei falsche Antworten, Missis Constans, und wie Ihnen sicherlich klar ist, bedeutet das sofortige Enthauptung. Na, macht nichts, stimmen wir ein wirklich herzliches Gebet für Missis Constans’ Seele an, liebe Andächtige und Frauen! Sie ist eine wahrhaft traurige Kandidatin gewesen …«
    Und das war mehr oder weniger alles, was Jason an einem Tag ertragen konnte. Wie er wußte, gab es Menschen, die nicht an die Götter glaubten, weder an diese Götter noch an sonst welche. Das hatte ihn immer erstaunt; es war, wie nicht an Pest und Cholera zu glauben. Die zwei Gewißheiten im Menschenleben lauten erstens: Es gibt Götter; und zweitens: Von einem anständigen, kräftigen Schlag auf den Hinterkopf pflegen alle Götter enorm zu profitieren. Mit einem Schrei, der eigentlich ernste Schäden an der Bausubstanz des Tempels hätte verursachen müssen, zog Jason das Schwert von Dingsda und stürzte sich auf das Podium …
    Doch mußte er feststellen, daß es gar nicht da war. Übrigens genausowenig wie er selbst.

 
     
    »Na gut.« Jason wägte die Möglichkeiten ab. Innerhalb einer relativ kurzen Zeitspanne hatte er den Göttern getrotzt, einen Abstecher in die Hölle gemacht, den Beutetreiber und den Sensenmann besiegt, von seiner Mutter das Gefühl vermittelt bekommen, ein etwa zwölfjähriger Junge zu sein,

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