Liebling, Ich Kann Auch Anders
die Freiheit ab, mich nach meinem Privatleben auszufragen. »Deinen jungen Freund habe ich übrigens schon länger nicht mehr gesehen …«
»Hm. Er hat die Probezeit nicht bestanden«, erwiderte ich lächelnd und war stolz, dass mir in diesem Laden, wo alles schwitzte, eine so coole Antwort eingefallen war.
»Aha!« Er grinste. »Was muss man denn so leisten, um bei dir diese Hürde zu nehmen?«
»Es ist nicht so sehr die Leistung, die zählt, eher die ideelle Komponente«, sagte ich. Sibylle hätte sich da präziser ausgedrückt. Und sich natürlich eher dem Materiellen zugewandt.
»Also meine inneren Werte sind natürlich auch gigantisch«, versichert mir Charly. Auch. Klar, er ist stolz auf seinen trainierten muskulösen Leib, vermutlich integrale Solariumsbräune, das glänzende gewellte Haar, die strahlend weißen Zähne. Sein Siegerlächeln verriet es deutlich. Aber mich irritierten seine eng stehenden Augen und der leicht brutale Zug um den Mund, wenn er mal nicht lächelte. Abgesehen davon war ich, weiß Gott, nicht auf Brautschau!
Ich sah mich ein wenig im Studio um. Jede Menge gut aussehender Menschen tummelten sich da, eine große Anzahl hübscher Frauen und Mädchen, von denen eine ganze Reihe einschmeichelnd lächelte, als Charly vorüberging. Die meisten davon hätten sich bestimmt umgehend und ohne Eingangstest von seinen Zuwendungen beglücken lassen. Aber er schlief in meinem Bettchen, trank aus meinem Becherchen, aß an meinem Tischchen von meinem Tellerchen. Warum sollte er sich dann nicht auch noch in meinem Schößchen wohlfühlen? Das wäre doch so praktisch – nichts läge näher!
Um ihn von weiterer Eigenwerbung abzuhalten, gab ich ein paar Bemerkungen über das Studio von mir. Der Laden machte tatsächlich einen guten Eindruck, und Charly schien sich schon rückhaltlos damit zu identifizieren. Aber mir gelang es nicht, mir vorzustellen, dass ich da hineinpassen könnte.
»Ich bin heut früher fertig«, unterbrach er meine Grübeleien. »Darf ich dich zum Abendessen einladen?«
Während ich noch überlegte, ob es unklug wäre, ja zu sagen und er daraus weitergehende Ansprüche ableiten könnte, unterstellte er bereits meine Zustimmung.
»Magst du Fisch?«
»Ja, klar. Fisch und Meeresfrüchte sind mir das Höchste.«
»Na klasse, dann werde ich in deiner Küche was für uns zaubern. Ich werde allgemein als sehr guter Koch bezeichnet.« Wieder dieses Siegerlächeln.
Na gut, wenn er selbst kochte, brauchte ich ja nicht solche Hemmungen zu haben. Zumal er sich ja meiner Einrichtung und meines Geschirrs bediente. Wir verabredeten uns auf acht, und ich nahm noch ein paar Prospekte mit, um Charly zuliebe Interesse am Studio zu heucheln.
Zu Hause stellte ich eine Flasche Gavi fürs Fischgericht in den Kühlschrank, verkniff es mir aber trotz aller Gelüste, noch etwas zu essen. Da ich jedoch großen Appetit verspürte, entstanden in meinem Geiste leckere Visionen von Garnelen, Langusten, Seeteufel-Medaillons und gebratenen Saiblingen. Die ließen mich auch nicht los, als ich mich im Badezimmer etwas zurechtmachte und im Schlafzimmer ein wenig sorgfältiger als sonst kleidete. Auch wenn ich nicht auf Brautschau war – eine Einladung zum Abendessen verdient in jedem Falle einen etwas gesteigerten Aufwand.
Pünktlich um acht klingelte ich an meiner Tür. Charly öffnete, begrüßte mich mit Küsschen, nahm mir den Wein ab und schob mich in mein Wohn-, Ess- und Arbeitszimmer. Merkwürdigerweise roch es nur ganz entfernt nach einem Fischgericht; aber recht intensiv nach verbranntem Brot. Vielleicht gab’s ja Bruschetta zum Aperitif.
»Geh rein, nimm Platz, du kennst dich ja aus! Ich komme gleich!«
Ich nahm am nachlässig gedeckten Tisch Platz. Er hatte die Wassergläser genommen, was sich jedoch als nicht gar so falsch erwies, denn in der Mitte stand eine Literflasche Pfälzer Landwein. Weiß. Mit Schraubverschluss. Es fehlte schon etwa ein Viertel. Vermutlich hatte er einiges zum Kochen verwendet.
»Tatatata!«, machte Charly und stieß mit dem Fuß die Tür auf. Er hielt mein Käsebrett in Händen und darauf ruhte – ich traute meinen Augen nicht – eine am Rand deutlich angekokelte Pizza.
»Ich dachte, es gibt Fisch.«
»Klar, gibt’s doch – Thunfischpizza. Die von ›Macker‹, das ist die beste.«
Ich war fassungslos. Sind wir Teenies in einer WG? Was glaubt der Typ eigentlich, wen er vor sich hat? Das hab ich davon, dass ich so anspruchslos und genügsam wirke. Es ist
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