Liebling, vergiss die Socken nicht
geradezu willkommen. Doch anstatt hineinzutauchen und sich eine Tafel Schokolade zu kaufen, wie sie es vorgehabt hatte, ließ sie sich von dem Duft frischgebackenen Brotes ein paar Laden weiter zu einer Bäckerei ziehen.
Als sie wieder aus der Bäckerei kam, unterbrach ein Standbesitzer seinen Ruf »Wunderbare Erdbeeren. Zwei Körbchen ein Pfund«, um sie fröhlich zu grüßen. »Hallo, Ally. Ich hab das Telethon wunderbar gefunden«, bemerkte er gutmütig. »Sie und Danny zusammen, das war einfach phantastisch. Was suchen Sie denn, Schätzchen? Einen von den vornehmen Läden auf dem Westbourne Grove?«
Ally zögerte und schlug ihren Stadtplan auf. »Eigentlich will ich zur Divinity Road.«
Der Mann tauschte einen Blick mit dem Verkäufer vom Nachbarstand aus. »Na, na, na.« Abwehrend schüttelte er seinen Kopf. »Das ist nichts für Sie, Darling. Gefährliche Straße. Üble Leute.«
»Sehr üble Leute«, pflichtete sein Freund ihm bei.
»Überhaupt nicht Ihr Niveau, Ally.«
»Hören Sie.« Ally hatte genug von den freundlichen Ratschlägen. Und sie dachte nicht daran, ihnen ihre Lebensgeschichte zu erzählen, nur um ein paar Tips zu bekommen, in welche Richtung sie gehen musste. »Sagen Sie mir bitte, wie ich gehen muss, ja?«
»Schon gut, schon gut, tun Sie, was Sie nicht lassen können. Biegen Sie bei der Straße dort rechts ab.« Er deutete auf eine Abzweigung auf der gegenüberliegenden Straßenseite. »Sie können es nicht verfehlen. Es ist die Straße, wo an jeder Ecke Bullen stehen und in den Abfalleimern die Spritzen liegen.«
Nervös überquerte Ally die Straße und bog nach rechts ab. Schlagartig veränderte sich die Atmosphäre. Hier war es vorbei mit dem wohlhabenden Chic am oberen Ende der Portobello Road und dem multikulturellen Treiben des Straßenmarkts. Mülltüten lagen auf den Bürgersteigen herum, die Inhalte überall verstreut. Hunde schnüffelten darin herum. Anstelle der Mandelblütenfassaden löste sich der Stuck in dicken Brocken von den Häuserfronten. Manche Hauseingänge waren zum Schutz vor Hausbesetzern mit Brettern vernagelt. An anderen befanden sich mindestens zehn oder zwölf Klingeln. Das mussten die reinsten Schlafkasernen sein.
Eine Gruppe Jugendlicher saß auf einer Eingangstreppe und beobachtete sie schweigend. Ally schauderte. Ihr war, als beträte sie eine andere Welt, in der die Werte, die ihr etwas bedeuteten, verlacht und verschmäht wurden. Sie konnte kaum glauben, dass das Portobello-Paradies nur fünf Gehminuten entfernt existierte. Es war, als hätten die Yuppies, die sich wie die Kolonialherren in die Londoner City gedrängt hatten, eine Linie gezogen, über die hinaus sie sich nicht vorwagten, wie billig die Grundstücks- und Mietpreise auch sein mochten.
Ally erblickte eine weitere Gruppe, die sie von den Stufen aus anstarrte. Den starken, süßlichen Geruch von Marihuana konnte sie sogar noch auf der anderen Straßenseite riechen. Sie hoffte, irgendeinen freundlichen Menschen auf der Straße zu treffen, den sie fragen konnte. Aber sie konnte kaum mit ihrer Geschichte vom rebellierenden Teenager kommen und erwarten, mitfühlende Kommentare wie »Ach ja, die Kinder heutzutage« zu ernten. Oder damit, dass ihr jemand zeigte, wo sie ihre Tochter finden könnte. Sie würden mit den Achseln zucken oder sie ganz einfach auslachen.
Mit einem Mal fühlte Ally sich unheimlich hilflos und ängstlich. Jetzt fiel ihr wieder ein, woher sie den Straßennamen kannte. Vom Fernsehen. Janey hatte sich Londons Drogenumschlagplatz Nummer Eins ausgesucht.
Sie machte auf dem Absatz kehrt und rannte zurück in das pulsierende Leben und die relative Sicherheit der Portobello Road.
Sie war überrascht, dass ihr Wagen immer noch da stand. Doch als sie näher kam, erblickte sie einen gelben Zettel hinter dem Scheibenwischer. In ihrer Aufregung hatte sie ganz vergessen, Geld in die Parkuhr zu stecken. Eine Säufertruppe, die vor einer nahegelegenen Kneipe auf dem Bürgersteig stand, prostete ihr zu, als sie den Zettel wegriss. Ob aus Mitgefühl oder aus Schadenfreude, vermochte sie nicht zu sagen.
Sowie Ally den Wagen aufgeschlossen und sich hineingesetzt hatte, legte sie den Kopf auf das Lenkrad und ließ ihren Tränen freien Lauf. Sie wusste einfach nicht, wo sie anfangen sollte. Verzweifelt wünschte sie sich, Matt wäre bei ihr, doch mit seiner Show heute konnte sie ihn wohl vergessen.
Sie musste allein zurechtkommen.
Sic richtete sich auf, kämmte ihr Haar, trocknete sich
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