Lieblingslied: Roman (German Edition)
»Meiner Meinung nach sind Sie für diese Position noch nicht reif. Aber Sie haben die faire Chance, mich eines Besseren zu belehren.«
Diesen Teil der Unterhaltung verschwieg ich Anna. Vielleicht war das ein Fehler, aber der Gedanke, dass ich Geschäftsführer werden sollte, schien ihr zu sehr zu gefallen. Sie schlang die Arme um mich und schmiegte sich an mich. »Darf ich was fragen? Ist dein neuer Job eigentlich mit einer Gehaltserhöhung verbunden?«
Jessica war nicht der Meinung gewesen, dass ich in diesem Punkt Ansprüche stellen konnte, da meine Beförderung eine spontane Entscheidung gewesen war. Miriam allerdings hatte sie darauf hingewiesen, dass juristisch gesehen jeder nach dem für die jeweilige Position tariflich festgesetzten Gehalt bezahlt werden musste. Als ich dann erfuhr, um welches tariflich festgesetzte Gehalt es sich handelte, hätte ich mich beinahe verschluckt.
Während ich Anna in meinen Armen hielt und ihr tief in die Augen sah, konnte ich mir ein Lächeln nicht mehr verkneifen. »Das, meine Liebe, ist die einzige gute Nachricht. Ich schätze, wir können aus dieser Wohnung aus- und in ein Haus in der Gegend deiner Wahl ziehen.«
Ich wusste, dass das etwas voreilig war. Schließlich gab ich bereits Geld aus, das ich noch gar nicht hatte, machte Pläne mit einem Job und einem Gehalt, die ich schon am nächsten Tag wieder verlieren konnte. Aber in diesem Moment erschien mir das nicht wichtig. Ich hatte an diesem Tag erlebt, wie so viele Menschen ihren Job verloren hatten. Ich wusste, dass nichts von Dauer war. Warum also nicht den Augenblick genießen? Und wenn es nur vorübergehend war, ich war entschlossen, aus meinem noch jungen Erfolg das Beste zu machen.
Annas Augen begannen, wie erwartet, zu leuchten. »Ist das wahr?«
»Natürlich. Aber vergiss nicht! Dieser Job bedeutet eine Menge Arbeit. Wenn ich dieses inflationär hohe Gehalt verdienen will, müssen wir alle Opfer bringen.«
Sie rückte ein wenig von mir ab. »Was für Opfer?«
»Zeitliche Opfer. Ich bin sicher wesentlich weniger zu Hause. Kommst du damit klar?«
»Wie viel mehr verdienst du in Zukunft?«
Ich zog sie an mich und flüsterte ihr ins Ohr: » Ein bisschen mehr als das Doppelte. «
Anna stieß einen kleinen Schrei aus und umarmte mich so fest, dass ich beinahe erstickt wäre. »In diesem Fall kann ich mit dem Opfer leben.«
13
RÜCKBLICKEND BETRACHTET war es vielleicht von Mark Lloyd klug gewesen, die Abfindung zu kassieren und sich zu verabschieden, anstatt Jessicas Erwartungen zu erfüllen. Im Lauf der Zeit erwiesen sich Charaktereigenschaften, die man ihr unterstellt hatte, als richtig. Sie war verschlagen, eiskalt und berechnend. Ich wusste, wie dünn das Eis war, auf dem ich mich ihr gegenüber bewegte. Und dieses Bewusstsein trieb mich an. Ich wollte nicht nur mein Gehalt behalten. Ich wollte Jessica nicht die Genugtuung verschaffen, mir eines Tages sagen zu können: »Jetzt ist es so weit, Ethan. Ich wusste, Sie schaffen es nicht.«
Anna und ich hatten wie gesagt von Anfang an damit gerechnet, dass meine Beförderung mit Opfern verbunden war. Und wir hatten uns nicht getäuscht. Es fing schon damit an, dass ich jede zweite Woche auf Reisen war. Wenn ich nicht auch noch nach New York musste, hielten mich Jessicas beliebte und häufige Telefonkonferenzen auf Trab – und zwar zur aktuellen Uhrzeit an der Ostküste –, was bedeutete, dass ich bereits um sechs Uhr morgens im Büro sein musste. Das war besonders unangenehm, nachdem Anna ein Haus nach ihrem Geschmack in einer guten Gegend gefunden hatte, die noch einmal eine halbe Stunde Fahrzeit weiter vom Büro entfernt lag. Damit pendelte ich täglich zwei Stunden zwischen Büro und Wohnhaus und arbeitete bis spät für eine Vorgesetzte mit der Mentalität einer Sklaventreiberin. Mein Leben bestand faktisch nur noch aus Opfern.
Die folgenden beiden Jahre vergingen wie im Flug. Hope war plötzlich fast fünf und besuchte die Vorschule. Jedes Mal, wenn ich von einer Geschäftsreise nach Hause kam, schien sie gewachsen zu sein. Außerdem wurde sie ihrer Mutter täglich ähnlicher: Sie war ein großes Kind, eine kleine Schönheit mit entwaffnendem Lächeln. An den wenigen Abenden, an denen ich zu Hause war, um sie zu Bett zu bringen, bat sie mich schon nicht mehr, für sie Musik zu machen. In der Hektik unseres Lebens schien sie die Zeit völlig vergessen zu haben, als ich ihr zum Einschlafen regelmäßig auf der Gitarre vorgespielt hatte. Vielleicht
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