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Lieblingslied: Roman (German Edition)

Lieblingslied: Roman (German Edition)

Titel: Lieblingslied: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K.A. Milne
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und Unterschlupf boten.
    Für die kleine Patrouilleneinheit war die Festsetzung eines bekannten Mannes wie Abel Richter samt Familie und einem Amerikaner, der sich als Offizier des Dritten Reichs ausgegeben hatte, ein voller Erfolg. Die nichtjüdische Ehefrau Elisabeth galt zwar kaum als Bedrohung, hatte sich jedoch durch die Ehe mit einem Juden der Rassenschande schuldig gemacht. Somit drohte uns allen dasselbe Schicksal. Nachdem man mir die deutsche Uniform ausgezogen hatte, luden sie uns alle auf einen Lastwagen.
    Sie fuhren uns eine gute Stunde in südöstlicher Richtung zu einem Ziel, das sie spaßeshalber als unser neues ›Feriendomizil‹ Mauthausen bezeichneten. Mauthausen war eines der größten und berüchtigtsten Vernichtungslager Europas.
    Wir hatten das Hauptlager noch nicht erreicht, da stieg mir schon ein eindeutiger Geruch in die Nase. Mauthausen verbreitete den Geruch des Todes. Innerhalb der Mauern, die das Lagerareal umgaben, bot sich uns ein erschreckender Anblick: Überall abgemagerte und ausgemergelte Gestalten, Menschen als Schatten ihrer selbst.
    Mauthausen war kein gewöhnliches Konzentrationslager. Es war das einzige Konzentrationslager der Kategorie III auf dem Gebiet des Reichs, was so viel wie Vernichtung durch Arbeit für kaum noch erziehbare Schutzhäftlinge bedeutete. Es war daher zu einem Teil der ›Intelligenz‹ vorbehalten, den ›sozialen Eliten‹ und politischen Feinden des Reichs. Darüber hinaus handelte es sich um einen ausgesprochen weitläufigen Komplex, denn neben dem Hauptlager existierten überall in der Umgebung verstreut zahlreiche Außenlager, die ebenfalls dem Ziel: Vernichtung durch Arbeit dienten.
    Später habe ich erfahren, dass im gesamten Lagerkomplex bis zu fünfundachtzigtausend Häftlinge gleichzeitig untergebracht waren. Ich bin also nur einer unter den vielen Hoffnungslosen gewesen. Mit der Überlebenserwartung eines Neuankömmlings von nur vier bis fünf Monaten war die Fluktuation in Mauthausen hoch und die Überlebenschancen gering.
    Die ersten Stunden in Haft verbrachte ich in einer fensterlosen Lagerzelle zusammen mit der Familie Richter, während die Lagerleitung über unser Schicksal beratschlagte. Nach zwei endlosen Stunden ging schließlich die Tür auf und ein großer Mann in SS -Uniform trat ein. Er schüttelte allen, auch den Kindern, die Hand, und stellte sich als Oskar vor. Er war ungefähr fünfundvierzig Jahre alt, hatte einen dichten, borstigen Schnauzbart und klobige Hände. Überraschenderweise gab er sich ausgesprochen freundlich. Entweder war er von Grund auf freundlich oder jemand, der seinen grausamen Job etwas zu gerne ausübte. Oskar stellte uns einen wesentlich jüngeren, neunzehn- oder zwanzigjährigen jungen Mann namens Karl vor, der sich redliche Mühe gab, uns nicht ansehen zu müssen. ›Karl ist nicht nur ein neuer Offizier, er ist mein Sohn‹, erklärte Oskar stolz auf Deutsch. ›Es ist seine erste Woche hier bei uns, und ich versuche ihm beizubringen, wie man umgeht mit …‹ Er verstummte und sah uns prüfend an. Sein joviales Lächeln nahm leicht sadistische Züge an, als er den Satz vollendete: ›… mit ganz speziellen Gästen .‹ Er hielt inne und betrachtete seinen Sohn. ›Karl muss stärker, mutiger werden. Und dabei sollen Sie ihm helfen.‹ Oskar machte einer Gruppe von Wachleuten draußen im Korridor ein Zeichen. Diese führten uns umgehend ins Freie über einen mit einer dünnen Schneedecke bedeckten Kieshof am Ende einer langen Reihe von Baracken.
    In der Mitte des Hofs stand ein großer Trog mit eiskaltem Wasser. Oskar sagte, die Kinder seien schmutzig und bräuchten ein Bad. Einer der Wachleute griff sich Aloisa und tauchte sie mitsamt ihrer Kleidung ins Wasser. Dann machte Oskar Karl ein Zeichen vorzutreten. ›Karl‹, begann er. ›Du badest die Mädchen!‹ Seine Worte waren kälter als der eisige Wind, der über den Hof blies.
    Jeder von uns spürte, dass etwas Schreckliches im Gange war. Aloisa zitterte vor Kälte. Elisabeth wimmerte und hoffte vergebens, dass sich ihre schlimmsten Befürchtungen nicht bewahrheiteten. Abel murmelte leise ein Gebet. Mir liefen die Tränen übers Gesicht; teils aus Verzweiflung über das, was geschehen würde, teils aus Schuldbewusstsein. Schließlich hatte ich an die Tür der Richters geklopft und damit alles ins Rollen gebracht.
    Dass Karl kein williger Mitläufer war, zeigte sich sofort. Quälend langsam ging er auf Aloisa und den Wassertrog zu. Er zitterte, als

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