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Lieblingslied: Roman (German Edition)

Lieblingslied: Roman (German Edition)

Titel: Lieblingslied: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K.A. Milne
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er eine Hand auf ihre Schulter legte. Dann drückte er sie mit abgewandtem Blick halbherzig unter Wasser. Elisabeth, Abel und Arla schrien laut auf. Der Wachmann, der mir am nächsten stand, hielt mir sein Gewehr unter die Nase und warnte mich, er würde liebend gern den Abzug bedienen, wenn ich auch nur mit dem Finger zuckte. Hätte ich die geringste Chance gesehen, das Kind zu retten, ich hätte es getan. Vielleicht war ich ein Feigling, aber mir fiel nichts weiter ein, als für Aloisa zu beten. Karl zitterte, schluchzte und wurde von Weinkrämpfen geschüttelt. Kurz darauf musste er sich übergeben und ließ das zappelnde Kind los, das nach Luft schnappend aus dem Wasser schoss.
    Oskar tobte vor Wut. Er beschimpfte Karl als Schwächling, ging selbst zum Wassertrog, packte Aloisa bei den Haaren warf sie ins Wasser zurück und hielt sie mit einer Hand unter Wasser, bis sie sich nicht mehr bewegte. Anschließend zerrte er Arla zum Wasserbottich und wiederholte die Prozedur.«
    Großvater Brights Stimme bebte. »Die meisten Wachleute beobachteten grinsend, wie die letzten Luftblasen an die Oberfläche stiegen. Karl und ich sahen dem Treiben mit ohnmächtigem Entsetzen zu. Abel und Elisabeth warfen sich zu Boden und flehten die Wachmannschaft an, sie zu erschießen, damit sie ihren Kindern folgen könnten.
    Oskar erklärte, sie müssten noch eine Weile auf die Hölle warten.
    In der folgenden Stunde schoren sie unsere Köpfe und verteilten uns auf die Baracken. Elisabeth wurde zu einer kleinen Frauengruppe gebracht. Abel kam zu einer Abteilung österreichischer Juden, und ich landete bei Männern des politischen und militärischen Widerstands aus ganz Europa. Meine Barackengenossen waren Spanier, Ungarn, Franzosen und Tschechen, aber auch einige Russen, Polen, Holländer und zwei weitere Amerikaner. Ein Wachmann teilte mir eine schmale Pritsche in der untersten Etage eines Stockbetts zu, das bereits mit zwei Spaniern besetzt war, von denen einer erschreckend mager aussah. Ich fragte den Wachmann, wie drei erwachsene Männer in diese Koje passen sollten. Die Antwort lautete, das sei unser Problem – aber kein Grund zur Sorge, einer oder beide Spanier würden sowieso bald abkratzen. Die Spanier sagten kein Wort, rutschten einfach nur zur Seite, um für mich Platz zu machen.
    Mauthausen war, wie gesagt, als Arbeitslager zum Zweck Vernichtung durch Arbeit angelegt worden. Einige gut ausgebildete Häftlinge wurden allerdings gelegentlich den Lagerwerkstätten zugeteilt, wo sie bei der kriegswichtigen Munitions- und Metallproduktion eingesetzt wurden. Die meisten Frauen wurden an benachbarte Gemeinden zu Billiglöhnen ›vermietet‹, wo sie Arbeiten verrichten mussten, für die sich sonst niemand fand. Der Rest von uns verbrachte die Tage im Steinbruch, wo wir riesige Granitblöcke schleppten.
    Es war ein elendes Dasein. Wir arbeiteten zwölf Stunden und mehr pro Tag, stiegen roh in den Stein gehauene hundertsechsundachtzig Stufen einundsechzig Meter weit hinauf und hinunter, die den Steinbruch mit dem Konzentrationslager verbanden. Wir nannten sie die Todesstiege. Während meiner ersten Woche sah ich, wie mindestens fünfzig Männer dort unter ihrer Last zusammenbrachen und vor Erschöpfung starben. Einer von ihnen war Abel Richter, dessen bereits geschwächtes Immunsystem die Strapazen der Arbeit im Steinbruch nicht standhalten konnte. In Gedanken an Abel und seine Töchter habe ich eine ganze Nacht durchweint, denn ich gab mir die Schuld an ihrem Tod. Hätte ich an ihrer Stelle sterben können, ich hätte es sofort getan.
    Andere Lagerinsassen wurden erschossen, weil sie versehentlich über die Toten auf der Todesstiege gestolpert waren. Erst als die Treppe aufgrund der zahlreichen Leichen fast unbegehbar wurde, räumten die Wachleute die Stufen frei, indem sie die Leichen einfach über die Felskante in die Tiefe warfen.
    In der zweiten Woche starb einer meiner Kameraden aus der Koje an einem Elektrozaun nördlich des Steinbruchs. Die Wachmannschaften behaupteten grinsend, es sei Selbstmord gewesen, doch das Gerücht ging um, dass ihn jemand absichtlich in den Zaun gestoßen habe. Die Koje jedenfalls war seltsam leer ohne ihn.
    Zwei Wochen vor Weihnachten bekamen wir eine neue Nachtwache für unsere Baracke zugeteilt. Es war Karl, der junge Mann mit dem schwachen Magen, der es nicht über sich gebracht hatte, die Richter-Mädchen zu ertränken. Karls Auftrag lautete, bis zum Morgengrauen fünf angrenzende Baracken zu

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