Lieblingsmomente: Roman
hinter mir stehen. Ich spüre die sanfte Gänsehaut in meinem Nacken, die sich über meinen Körper ausbreitet, und starre konzentriert auf den Bildschirm meines Computers vor mir, betrachte intensiv den Desktop mit all den kleinen Icons, die mir das Leben durch einen einfachen Klick erleichtern. Tristan beugt sich zu mir herunter, und obwohl sich seine Hand eigentlich nur auf die Maus auf dem Schreibtisch legt, fühlt es sich trotzdem fast so an, als würde er den Arm um mich legen. Ich versuche meine Atmung zu kontrollieren. Er ist so nah.
»Irgendwo hier haben sich bestimmt ganz wunderbare Bilder versteckt, oder?«
Ich beobachte den Cursor und spüre Tristan, den nur wenige Zentimeter von mir trennen. Er bewegt die Maus langsam mit seiner Hand, und ich weiß, er wird sie finden, immerhin habe ich mir nicht besonders viel Mühe beim Verstecken gegeben. Der Titel des Ordners »Alte Bilder« klingt jetzt noch viel verräterischer, als ich es mir eingestehen möchte.
»Was wohl hier drinnen ist?«
Der Cursor kommt genau auf diesem Ordner zum Stillstand. Ich weiß, Tristan lächelt. Ich spüre es, sage aber trotzdem nichts. Er sieht mich von der Seite an, aus einer fast unerträglichen Nähe. Ich halte den Atem an.
»Darf ich?«
Darf er? Eine wirklich gute Frage. Ich habe diesen Ordner auf meinem Desktop genau neben dem Papierkorb platziert, weil er meiner Meinung nach genau dorthin gehört. Nur einen Klick von der Entsorgung entfernt. Ich nicke langsam, atme aus und höre den folgenschweren Doppelklick.
Auf dem Bildschirm springt ein Fenster erfreut auf und zeigt eine Sammlung von mehr als hundert Bildern, die ich mir in den letzten zwei Jahren genau drei Mal angesehen habe. Ich habe sie verdrängt, um nicht dauernd an sie denken zu müssen.
Tristan bewegt sich jetzt nicht mehr, aber ich meine, seinen Herzschlag zu hören oder zu spüren, ich bin mir noch unsicher. Von seinem Körper geht jedenfalls eine Wärme aus, die mich einhüllt, und obwohl wir uns gerade mitten in einer extremen Hitzeperiode im Sommer befinden, ist mir seine Wärme kein bisschen unangenehm.
Er klickt auf ein Foto, und ich will die Augen schließen. Ich komme mir aber vor wie bei einem Unfall auf der Autobahn, also schaue ich auch hin.
Ein kleines Kind am Kiesstrand am Lago di Garda. Es ist in Malcesine aufgenommen, denn dort lebt meine Großmutter, dort habe ich mich in die Stadt und die Menschen verliebt. Tristan betrachtet das Bild. Es ist schwarz-weiß, konzentriert sich auf das Gesicht des Kindes, der Hintergrund verschwimmt, aber die Umrisse des sich fortführenden Strandes und all seine Besucher kann man trotzdem deutlich erkennen.
»Das ist … schön. Wunderschön.«
Ich sage nichts, traue mich kaum zu atmen, mein Mund wird trocken. Ich greife nach meiner Flasche und spüle meinen Mund mit etwas Bier aus. Schon viel besser.
Das nächste Foto zeigt ein altes Ehepaar auf einer Bank in einer der kleinen Kopfsteinpflastergassen der Innenstadt. Meine Großeltern. Sie sitzen da, fast wie in Stein gemeißelt, halten sich an der Hand und haben dieses besondere Lächeln auf den Lippen. Es zeigt Ruhe und Zufriedenheit, wie man sie nur im Alter genießen kann. Das Licht war mir an diesem Tag besonders freundlich gestimmt und erlaubte mir kräftige Kontraste, die meinen Großvater fast rau, meine Großmutter hingegen zart und verletzlich zeichnen. Ein bisschen will ich zugeben, dass es mir gefällt.
Tristan sieht wieder zu mir.
»Die sind …«
»Alltäglich.«
»Nein, wunderschön. Das ist die Frau auf dem Foto, nicht wahr? Kennst du sie?«
Der Gedanke an sie verpasst mir einen emotionalen Tiefschlag.
»Ja. Das ist meine Großmutter.«
Meine Großmutter, die wollte, dass ich meine Träume verwirkliche und mir meine Wünsche erfülle. Meine Großmutter, die mir unendlich fehlt. Ich greife nach seiner Hand, schiebe sie etwas ruppig von der Maus weg. Dann schließe ich das Fenster und auch den Ordner. Ich bin darauf nicht vorbereitet und will es auch nicht. Es ist mir im Moment zu viel.
»Das sind kleine Meisterwerke! Die sind toll, du solltest sie veröffentlichen!«
Ich drehe mich zu ihm um. Er hat kein Recht, so über die Bilder zu sprechen und damit endlich schlummernde Hoffnung in meinem Inneren zu wecken. Ich habe lange genug gebraucht, um sie zu begraben, auch wenn ich mich noch immer nicht völlig von ihnen trennen kann. Ich will nicht mehr darüber sprechen. Ich will seine Komplimente nicht.
»Das geht dich aber
Weitere Kostenlose Bücher