Lieblingsmomente: Roman
hüpfen – nein, eigentlich sind es ausgewachsene Sprünge. Im Weitsprung der Herzen habe ich gerade einen neuen olympischen Rekord aufgestellt.
»Wie heißt er?«
»Wer?«
»Liebes, ich bin doch nicht blöd. Schau dir das hier an.«
Er zeigt mir eines meiner Bilder. Ein junges Pärchen liegt im Schlosspark, sie greift nach der dünnen Goldkette, die um seinen Hals hängt, sein Blick lässt ihren nicht los, ein Lächeln umspielt seine Lippen. All seine Gefühle scheinen in diesem Blick zu liegen. Und man weiß sofort: Er liebt sie.
»Du kannst so was nicht fotografieren, ja, nicht mal sehen, wenn du nicht weißt, was es ist.«
Ich entscheide mich, weiterhin die »Ich-verstehe-nicht-was-du-meinst-Tour« zu fahren. Ich hasse es nämlich, wenn man mich einfach so durchschaut.
»Was – was ist?«
»Nicht mit mir, Layla. Wer ist es? Oli?«
»Es ist nicht … Es ist nur das, was ich fühle.«
»Sicher. Und für wen fühlst du … das ?«
Ich kenne die Antwort, aber sie gefällt mir nicht. Deshalb beschließe ich, zurück zur eigentlichen Frage zu kommen.
»Marco, sind die Fotos gut?«
»Sie sind mehr als gut. Sie sind wunderbar. Sie sind echt. Sie sind voller Gefühle. Sie sind … Das bist du!«
Es spielt keine Rolle, ob es jemand hören kann – aber der Stein, der mir vom Herzen fällt, muss das ganze Lokal erschüttern. Ich hole so tief und erleichtert Luft, dass dem jungen Mann am Nebentisch fast seine Bestfriend-Roll aus den Essstäbchen rutscht.
»Gott sei Dank.«
»Komm schon. Layla, du brauchst mich nicht, um zu wissen, wie gut sie sind. Das sieht ein Blinder. Dein Talent war schon immer da. Aber diese Bilder … Sie sprechen eine ganz neue Sprache. Das kenne ich von dir nicht. Das ist ein neues Level.«
Er klappt die Mappe zu und sieht mich nach wie vor wartend an, aber ich bin zu erleichtert und glücklich, um das zu bemerken. Seit unserem Telefonat bestreiten mein Magen und mein Herz eine Tour de Force ohnegleichen. Mal wollte ich zu viel essen, mal zu wenig. Einmal wollte ich tanzen, dann weinen. Es war eine Achterbahnfahrt de Luxe, und auch wenn es irgendwie unerträglich war, fühlte es sich so gut an. Und jetzt die Auflösung.
»Du warst über drei Jahre von der Bildfläche verschwunden. Was hat dich zurückgebracht?«
»Es tut mir leid. Ich war beschäftigt und habe viel … Nun ja. Ich habe weiter fotografiert. Und meine eigene kleine Firma aufgebaut.«
»Das habe ich gesehen. Gute Bilder. Viele sind sogar sehr gut.«
»Danke.«
Er klopft auf die Mappen neben sich.
»Aber kein Vergleich hierzu.«
Das weiß ich selber. Es ist so surreal, hier bei rohem Fisch mit einem Fotografen zu sitzen, von dem ich viel halte und der mehr kann, als blondierte Teenagermädchen zu knipsen. Der Mann hat schon diverse ernst zu nehmende Preise mit seinen Bildern gewonnen und Ausstellungen in ganz Deutschland. Man muss das so hart sagen: Marco ist keine Fotohure geworden, so wie ich. Er hat immer nur das fotografiert, wonach ihm war, und offensichtlich war auch anderen Menschen danach. Sie haben seine Bilder ausgestellt und gekauft. Er hat auf sein Herz gehört und auf nichts anderes. Und es hat ihm gutgetan.
»Gut, lass mich raten. Du hast eine … Muse.«
Ich verschlucke mich fast und greife schnell nach der Karte. Wie kommt es, dass Marco mich einfach so durchschauen kann? Bei meiner aktuellen Lebenslage kann das ja was werden. Ich brauche Alkohol, und zwar sehr viel davon.
»Oder eine Affäre. Beides wäre dir zuzutrauen.«
Andererseits fühle ich mich jetzt schon leicht beschwipst und sollte es nicht übertreiben.
»Na klar. Und wenn ich dir sage, dass ich außerdem noch mit Drogen experimentiert habe?«
»Dann hätte ich gerne welche davon.«
Wir lachen, essen, reden, trinken und lachen noch mehr. Dazwischen schauen wir immer wieder Fotos an. Er möchte einige davon gerne einem Freund zeigen, der ein kleines, feines Café mit Ausstellungsfläche hat und immer wieder gerne etwas Neues auf die Beine stellt. Wieso nicht? Im Moment habe ich rein gar nichts zu verlieren.
Zwischen den Maki und Inside-out-Rolls, von denen wir schon zu viele verdrückt haben, erzähle ich von meinem Leben, was ich so gemacht habe und wieso ich aufgehört habe, an meinen Traum zu glauben. Ich benutze dabei nicht Olivers Namen, weil das ungerecht ist. Ich lüge aber auch nicht und sage, dass mein aktuelles Leben es nicht zugelassen hat. Das schließt Oliver mit ein. Ich denke, Marco kann sich auch ohne
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