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Lieblingsmomente: Roman

Lieblingsmomente: Roman

Titel: Lieblingsmomente: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adriana Popescu
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langsam hin und her geht, wie er lächelt, wie er die Hände um das Mikrofon legt, die Augen während des Gesangs schließt. Ich bekomme eine Gänsehaut, dabei ist es nicht einmal eine Ballade.
    »Solche Momente sollte man festhalten.«
    Marco beugt sich wieder zu mir und erinnert mich an die Tatsache, dass ich nicht alleine hier bin.
    »Was?«
    »Fotos. Von der Band. Volkan kann sie auf seine Homepage stellen.«
    Er nickt auf meine Tasche, in der sich meine Kamera befindet, und dann zur Bühne, auf der sich die Band langsam warm gespielt hat und das Publikum sie mit begeistertem Applaus versorgt.
    Ich versuche, Vollprofi zu sein, knipse Ragnas schwarze Lockenmähne und Ben, wie er fast schon achtlos lässig auf seinem Barhocker sitzt und seiner Gitarre vor allem bei den ruhigeren Stücken immer wieder Töne entlockt, die den ganzen Raum verstummen lassen. Er spielt, als wäre er alleine, nur für sich, als wäre der Laden nicht ausverkauft. Ich stelle den Fokus meiner Kamera auf Thomas, der mit seiner gefühlvollen Stimme jedem Song seinen Stempel aufdrückt und mit seiner Gitarre so natürlich dasteht, als wäre sie ein Körperteil von ihm, ohne den er nicht leben könnte. Immer wieder halte ich das Lächeln fest, das er Volkan zuwirft, wenn der Thomas’ warme Stimme mit perfekt gesetzten Akkorden ergänzt, die das Lied ausschmücken und dem Zuhörer das Gefühl geben, es zum ersten Mal zu hören.
    Aber auch wenn ich mir wirklich Mühe gebe, für mich gibt es eigentlich nur ein Motiv, von dem ich mich unwiderstehlich angezogen fühle: Tristan und seine Gitarre. Nachdem ich alle anderen Musiker fotografiert habe, wende ich mich endlich ihm zu. Wie in Trance stelle ich die Blende und die Belichtungszeit passend für das Licht ein und werfe dann einen Blick durch den Sucher. Es fühlt sich vertraut an, Tristan so zu sehen. Immerhin habe ich ihn so kennengelernt, habe ihn zum Mittelpunkt dieses einen Fotos gemacht, das alles sagt, was ich zu dem Zeitpunkt empfunden habe – und auch heute noch empfinde. Sehnsucht. Ich wusste nicht, wie er heißt, und jetzt steht er vor mir auf der Bühne, im Scheinwerferlicht, und ich ertappe mich bei dem Gedanken, wie es sich wohl anfühlen würde, wenn ich ihn noch ein Mal umarmen könnte und ihn nicht wieder loslassen müsste.
    Schnell schiebe ich den Gedanke beiseite und schieße auch wieder Aufnahmen von den anderen Musikern – aber sie spielen keine Rolle, sie haben nur den Zweck, meine Mission zu verdecken. So muss sich ein Alkoholiker fühlen, der schwach wird und wieder zur Flasche greift. Ich spüre diese Hitze in meinem Körper, ich spüre, wie sie ganz langsam in mir aufsteigt, wie meine Hände fast ein wenig zittern und wie sich ein Lächeln auf meinem Gesicht zeigt.
    Innerhalb von weniger als drei Minuten hat sich eine ganze Urlaubswoche in nichts aufgelöst. Alle guten Vorsätze schmelzen dahin. Ich sehe nur noch ihn und warte auf das perfekte Foto. Mir entgeht keine noch so winzige Bewegung. Ich habe die offizielle Erlaubnis, ihn zu beobachten, und ich muss mich nicht entschuldigen. Losgelöst von all dieser Angst mache ich Fotos von ihm, auf die ich mich schon freue. Dieses Selbstbewusstsein, mein Handwerk zu beherrschen, ist wieder zurückgekehrt und fühlt sich unglaublich gut an.
    Ich beobachte ihn weiter durch mein Objektiv. Er wippt leicht mit dem treibenden Schlagzeugbeat mit, wartet auf seinen Einsatz und blickt auf einen Punkt irgendwo über dem Publikum. Seine Körperhaltung verrät Anspannung und Konzentration, während sein Blick beinahe leer in die Ferne schweift. In wenigen Takten ist es so weit. Als ich plötzlich für den Bruchteil einer Sekunde etwas in seinem Blick aufflackern sehe, tut es tief in meinem Inneren, also gut, in meinem Herzen, kurz weh, und ich drücke ab. Sofort werfe ich einen prüfenden Blick auf die digitale Anzeige meiner Kamera, und eine Art Miniaturvorschau des Bildes erscheint. Mein Puls beschleunigt sich, denn ich weiß, dass ich gerade ein weiteres dieser besonderen Bilder eingefangen habe. Doch beim Anblick des Ergebnisses zieht sich mir mein Herz gefährlich fest zusammen, als wolle es sich zu einer winzigen Origami-Figur zusammenfalten – und mir wird kalt. Ich kann nicht glauben, was ich da sehe. Ich habe es geschafft, diese tiefe Traurigkeit einzufangen, die mir schon öfter an Tristan aufgefallen ist. Und alles, an was ich beim Anblick des Fotos denken kann, ist: Es geht ihm nicht gut.
    Marcos Gesicht schiebt sich

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