Lieblingsmomente: Roman
gitarrenlastiges Set spielen werden und auf einen Bassisten einfach verzichten, bringe ich noch einen weiteren großartigen Gitarristen auf die Bühne.«
Meine Augen weiten sich.
»Den kenne ich!«
Marco sieht mich überrascht an, als ein gut aussehender junger Mann mit geränderter Brille und kurzen dunklen Haaren auf die Bühne springt. Er trägt ein weißes T-Shirt, schwarze All Stars und eine braune Leinenhose, an der Hosenträger baumeln. In der Hand hat er eine Martin-Gitarre, die sich in der Musikwelt als das Babyface-Signature-Modell einen Namen gemacht hat, wie mir der Musiker einmal selbst erklärt hat.
»Musikexpertin Layla Desio?«
Marco grinst, aber es handelt sich wirklich um Thomas Pegram, der hinter einem Mikrofonständer in Position geht und neben Ragna, Ben und Volkan das Quartett der verschiedenen Typen perfekt ergänzt. Niemals hätte ich mir diese vier Männer zusammen in einer Band vorstellen können, aber genau das scheint den Reiz dieser ganzen Aktion auszumachen.
Thomas stellt sich in Position, schirmt seine Augen mit der Hand vor dem grellen Scheinwerferlicht ab und lässt seinen Blick über das Publikum schweifen. Als er mich entdeckt, winkt er mir kurz zu – ganz so, als hätte er mich hier erwartet. Ich winke leicht irritiert zurück und deute mit einer drehenden Fingerbewegung an, dass wir uns nachher sehen. Er nickt und konzentriert sich wieder auf das Mikrofon vor ihm. Stimmt, er hat in Bregenz erwähnt, dass er demnächst in Stuttgart spielt – für einen Freund, spontan. Volkan sieht noch immer zum Bühneneingang, ganz so, als ob er ein weiteres Bandmitglied erwarten würde.
»Wir warten noch auf unseren nächsten Gitarristen, und dann legen wir für euch los. Wie immer spielen wir so ziemlich jeden Musikwunsch, wenn er weniger als drei Akkorde hat.«
Erneutes Gelächter. Volkan ist gut. Er hat uns sofort in seinen Bann gezogen, und die Musiker werden schon vor ihrer Arbeit mit Applaus bedacht.
»Und hier ist er auch endlich. Begrüßen Sie den Mann für die harten Gitarrenriffs! Tristan!«
Mein Herz bleibt stehen. Das kann nicht sein, und doch ist es so: Tristan, in dunkler Jeans und einem schwarzen Hemd, spurtet auf die Bühne, die E-Gitarre schon um den Hals. Er sieht mich nicht – wie sollte er auch? Die Scheinwerfer blenden ihn, und anders als Thomas hält er nach niemandem im Publikum Ausschau, aber ich sehe ihn. Er hat sich nicht verändert, und auch seine Wirkung auf mich hat sich kein bisschen verändert. Mein Herz schlägt sofort schneller, mein Blut rauscht in den Ohren, und die Schmetterlinge und kleinen Käfer drehen einfach durch. Ich glaube, ich habe aufgehört zu atmen. Marco sieht mich von der Seite an, sagt aber nichts, und ich muss mich konzentrieren, um mich irgendwie wider in den Griff zu bekommen.
Die Band legt los, und vom ersten Takt an bin ich gefesselt. Was optisch wie eine bunte Fruchtbowle wirkt, harmoniert musikalisch so wunderbar, dass man das Gefühl hat, diese Jungs stehen seit Jahren jeden Abend zusammen auf der Bühne. Das zeugt von großer Musikalität, wie ich annehme. Aber so gut alle zusammen auch sein mögen, ich habe nur Augen oder Ohren für einen – für Tristan, der lässig dasteht und die Finger über die Gitarrensaiten sausen lässt. Es sieht so einfach aus, und plötzlich fallen mir die Gitarre in seinem VW-Bus und seine Performance für mich in den Weinbergen wieder ein. Sein herzzerreißendes Lied über Lieblingsmomente, bei dem ich fast angefangen hätte zu weinen. Wieso bin ich eigentlich so überrascht? Immerhin scheint Tristan eine Art Lebenskünstler zu sein. Fahrradkurier, Kellner und Aushilfstürsteher. Warum also nicht auch noch professioneller Musiker? Und das hier ist ein Konzert. Wohl oder übel muss ich mich darauf einstellen, dass ich ihn in Stuttgart immer mal wieder spontan treffen werde. Und der Gedanke beruhigt mich.
»Kennst du ihn etwa auch?«
Marco beugt sich zu mir und stellt die Frage direkt in mein Ohr, um die Musik zu übertönen. Lügen ist zwecklos, so wie ich mich gerade verhalten habe.
»Ja.«
Marco nickt nur. Es folgt kein Kommentar, und dafür bin ich ihm sehr dankbar.
Ich bin in einer überaus guten Situation, das gestehe ich mir ein. Er kann mich nicht sehen, er weiß vermutlich nicht einmal, dass ich mich in diesem Raum befinde, und ich kann ihn in aller Ruhe betrachten. Ich kann die Erinnerungen auffrischen, die schon zu verblassen drohten. Ich sehe, wie er sich bewegt, wie er
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