Lieblingsmomente: Roman
Wohnung. Helen ist nicht nur Björns Schwester, sie ist auch Tristans Freundin, daran lässt diese Wohnung keinen Zweifel. Alles hier scheint ihren Namen zu tragen. Im Badezimmer hängen zwei Handtücher, zahllose Urlaubsbilder hängen an den Wänden, lustige Polaroids an den Türen. In der Küche stehen ein roter und ein blauer Stuhl, alle anderen sind schwarz. Es leben zwei Menschen in einer sehr liebevollen Beziehung in dieser Wohnung, daran gibt es nichts zu rütteln, auch wenn ich genau das nur zu gerne machen würde.
Jetzt sitze ich also hier auf diesem Sofa, auf dem ich mich fast verliere, und starre auf das Foto der Hände, die sich so entschlossen ineinander verschränken, dass man meinen sollte, nichts auf der Welt könne sie jemals trennen. Ich habe Beccie eine Nachricht geschickt, dass ich das Wochenende wahrscheinlich weg sei, ganz spontan, ein bisschen durchatmen, und dass ich mich am Montag wieder bei ihr melden würde. Zu groß ist das Risiko, dass sie mich anrufen oder vor unserer Tür auftauchen würde – und dann würde sie sich wundern, wo ich wohl wäre.
Erst jetzt merke ich, dass das Radio im Wohnzimmer eingeschaltet ist. Nur ganz leise. Die Stimme im Radio besingt das Ende einer Beziehung so ganz ohne das erwartete Happy End.
Unsere Verbindung, sie war so stark,
gestohlen aus einem Drehbuch,
das man in Hollywood fand,
doch unser Liebesfilm hier wird zum Drama,
mit den traurigsten Klischees.
Deine Heldin kommt zu spät, zu spät.
Ich schüttele den Kopf und weigere mich, weiter auf den Text zu hören, der mich direkt im Herzen zu treffen scheint. Kein Happy End. Worte, und mögen sie noch so schön gesungen sein, tun manchmal mehr weh als ein Faustschlag ins Gesicht.
Ich brauche jetzt Ablenkung. Während ich hier sitze und mir fehl am Platz vorkomme, fahre ich meinen Laptop hoch und beschließe, ein bisschen zu arbeiten. Als Babysitterin habe ich nicht besonders viel Erfahrung, aber solange Tristan schläft, gibt es für mich nichts zu tun, außer mich umzusehen und mehr Details von Helen zu finden. Darauf kann ich gut verzichten. Sie spielt einfach in einer komplett anderen Liga, und die Vorstellung, es mit ihr aufnehmen zu können, ist lachhaft.
Und wieso will oder kann mir niemand sagen, wo sie ist? Vermutlich ist sie gerade an einem sehr spannenden, abenteuerlichen Ort und berichtet aus einem Krisengebiet, immer kurz davor, für ihren Beruf ihr Leben zu lassen. Als gefeierte Heldin steht sie dann später in einem schönen Abendkleid auf der Bühne und erhält einen Fernsehpreis. Sie dankt ihrem Freund Tristan für die unendliche Unterstützung, Liebe und Treue, während sie weit weg war.
Da fällt mein Blick auf ein Bild gegenüber an der Wand, auf dem viele lachende Gesichter versammelt sind. Sie alle haben die deutschen Farben im Gesicht, halten Fahnen oder tragen Blumengirlanden. Alles in Schwarz-Rot-Gold gehalten. Tristan trägt ein schwarzes Deutschlandtrikot und lacht über das ganze Gesicht. Ich erkenne auch Björn, der neben Helen steht und einen Plastikbecher mit Bier in der Hand hält. »WM 2006 in Stuttgart« steht in großen Lettern drauf. Ich war auch dabei und habe unendlich viele Fotos gemacht, die Stimmung genossen, aufgesogen und geliebt. Aber auf keinem meiner Fotos sieht man das alles so deutlich wie auf diesem hier. Ich blicke schnell wieder auf meinen Laptop.
»Hey.«
Erschrocken zucke ich zusammen. Es war so ruhig die letzte Stunde, und ich war so konzentriert, dass ich vollkommen vergessen habe, wo ich bin. Tristan steht in der Tür, er trägt graue Schlafshorts und ein weißes T-Shirt. Sein Gesicht sieht zerknittert aus.
»Hey. Wie geht es dir?«
Er zuckt mit den Schultern und fährt sich mit beiden Händen über das Gesicht. Eine dumme Frage, aber ich weiß nicht, was ich sonst sagen soll.
»Es geht.«
»Kann ich dir irgendwas Gutes tun?«
Ich bin immerhin genau deswegen hier. Ich will für ihn da sein, aber er scheint mich nicht einmal wirklich wahrzunehmen. Sein Blick wandert durch das Wohnzimmer. Er scheint alles genau unter die Lupe zu nehmen. Ich habe meine Tasche und meinen Laptop auf der Couch, daneben ein Glas mit Orangensaft aus der Küche. Björn hatte gesagt, ich könne alles benutzen und mich wie zu Hause fühlen.
Tristan sieht wieder zu mir. Nichts in seinem Auftreten lässt auch nur erahnen, ob er mich sehen will, mich hier haben will. Er kommt etwas weiter ins Zimmer. Ich versuche ihm ein Lächeln zu schenken und mich etwas zu
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