Lieblingsmomente: Roman
Zimmer teilen, abends viel Wein trinken und dann vielleicht noch in eine Disco gehen, um zu schauen, was die Frauen hier können. Aber ich vertraue Oliver.
Jetzt wirkt er gehetzt, genervt und gereizt. Die Woche schien bei ihm nicht besonders gut gelaufen zu sein. Er hat einige Male versucht, mir zu erzählen, was bei der Arbeit so passiert ist, aber das hat mich nicht wirklich interessiert. Ich habe diese Woche weniger auf das geachtet, was er sagt, als vielmehr darauf, was er macht. Der flüchtige Begrüßungskuss blieb aus, an drei von fünf Tagen. Umarmungen? Fehlanzeige. Nachfragen bezüglich meines Tages? Nada. Ich habe also im Gegenzug ebenfalls kein Interesse mehr an seinem Alltag gezeigt. Es scheint ihm nicht einmal aufgefallen zu sein. Auch diesen Dienstag hat er mich nicht gefragt, ob ich mit möchte. Also haben Beccie und ich den Tag zusammen verbracht, und ich konnte endlich mein Versprechen einlösen, für sie zu kochen.
»Verdammt. Ich komme zu spät. Hoffentlich erwischen wir noch den Flieger.«
Er zieht sein Jackett an und zupft nervös an seiner Krawatte. Dann ein kurzer, prüfender Blick zu mir.
»Sehe ich gut aus?«
Ich nicke. Das tut er. Das tut er immer im Anzug. Und ich werde nicht lügen. Er lächelt etwas erleichtert.
»Okay. Wir sehen uns dann am Montag. Ich wünsche dir ein schönes Wochenende.«
Er küsst meine Wange. Nicht meine Lippen, nicht einmal meine Stirn. Nur meine Wange.
»Bis Montag.«
Es klingelt, er schnappt seine Tasche und winkt mir an der Tür noch umständlich über die Schulter zu, dann ist er weg. Ich gehe zum Fenster und warte, bis er unten aus der Tür raus ist. Fast so, als wolle ich sichergehen, dass er auch ja nicht wieder nach oben kommt.
Unten neben einem roten Kleinwagen lehnt eine Frau mit langen blonden Haaren. Ich kenne sie nicht und habe sie noch nie gesehen. Sie trägt ein schickes Kostüm und winkt ganz aufgeregt, als Oliver auf den Wagen zukommt. Sie steigen ein, keine Begrüßung, kein Küsschen, keine Umarmung. Trotzdem gibt es mir zu denken. Er erzählt immer von seinen Kollegen, erwähnt aber nur männliche Namen. Wieso war er eben so genervt? War er nervös? Ich spinne schon wieder. Durchatmen.
Oliver ist nicht mehr da, und so verrückt das klingt, genau so habe ich es mir gewünscht. Ein Wochenende für mich. Ich werde Beccie einladen, wir werden etwas kochen oder es zumindest vorhaben, dann etwas bei unserem Lieblingsitaliener bestellen und auf der Couch einen Frauenfilm ansehen. So etwas haben wir schon lange nicht mehr gemacht. Sie fehlt mir. Und wenn ich den Mut finde, dann werde ich ihr vielleicht sogar von dem Konzert und alles über Tristan erzählen. Das Schlimmste an der ganzen Sache ist nämlich die Tatsache, dass es niemand weiß. Ich trage es alleine mit mir herum und kann nicht darüber sprechen. Dabei möchte ich das so gerne. Welche Frau kann schon den Mund halten, wenn ein Mann wie Tristan für sie ein Lied singt? Genau genommen zwei Lieder. Ich muss lächeln, auch wenn ich es gar nicht will. Tristan hat eine komische Wirkung auf mich. Andererseits habe ich seit Montagabend nichts mehr von ihm gehört. Meine Bilder haben offenbar eine ähnlich starke Wirkung auf ihn – nur dass sie ihn verjagen.
Bevor ich mich zu irgendeiner Dummheit hinreißen lasse, packe ich meine Handtasche und entscheide mich für einen entspannten Spaziergang zum Büro. Lange ist es her, dass ich meine Kamera bei jeder Gelegenheit bei mir hatte. Manche Motive kommen ganz unerwartet, und unterwegs knipse ich einfach darauflos, zum Spaß, als Übung, und ich überrasche mich dabei, wie ich mit dem Ergebnis sehr zufrieden bin.
In meinem Büro ist es noch angenehm kühl, und ich genieße einen Moment lang die Stille. Das ist der beste Teil des Tages: wenn noch niemand wirklich etwas von mir will, wenn ich noch nicht in den Arbeitsalltag eingespannt bin, wenn alles noch etwas ruhiger ist.
Zunächst einmal hole ich mir eine Cola aus dem Kühlschrank, fahre den Rechner hoch und schaue mich in meinem Reich um. Auch wenn ich die Fotos, die an den Wänden hängen, liebe, muss ich doch gestehen, dass sie alt sind. Ich sollte mal wieder ein wenig updaten. Inzwischen hat sich eine ganz ansehnliche Anzahl an neuen Fotos ergeben, durch die ich meine alten Meisterwerke ersetzen könnte. Kaum zu glauben, wie viele schöne Fotos ich allein in den letzten paar Tagen gemacht habe. Irgendein Knoten hat sich bei mir gelöst, und ich arbeite zwar noch immer gerne auf
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