Liebst du mich wirklich, Raoul
Dann kümmerst du dich um alles Nötige? Donna vertraut dir, und du kannst sie sicher überzeugen, das Richtige zu tun. Wenn du es nicht für mich machen willst, dann tu es wenigstens für Carrie.“ Er trank das Glas ganz leer und stellte es ab. „Du bist ein großartiges Mädchen, Rhianna“, lobte er sie und legte den Kopf leicht zur Seite. „Und in diesem Bademantel siehst du richtig scharf aus. Ich könnte wetten, du trägst nichts darunter. Willst du mir einen kleinen Beweis liefern, auf die alten Zeiten?“
„Es gibt keine alten Zeiten.“ Angewidert musterte sie ihn. „Die gab es nie. Und jetzt verschwinde hier! Auf der Stelle!“
Er pfiff zwischen den Zähnen hindurch. „Harte Worte, aber du hilfst mir doch trotzdem, oder? Denn im Grunde hast du keine andere Wahl.“ An der Wohnungstür, die sie mit eindeutiger Geste aufhielt, blieb er stehen. „Ich verlasse mich auf dich, denk daran! Also lass mich ja nicht hängen!“
Mit diesen Worten wandte er sich zum Gehen, doch seine Miene versteinerte sich plötzlich. Hektisch sah sie an Simon vorbei und stellte entsetzt fest, dass Raoul regungslos am Treppengeländer stand und sie mit gerunzelter Stirn beobachtete.
„Das ist also dein heimlicher Bewunderer“, bemerkte Simon spöttisch. „Ja, ja, Rhianna, stille Wasser sind tief, was? Ich werde Carrie von dir grüßen, ja? Hallo und Tschüss, Raoul. Schönen Abend noch, den wirst du garantiert haben.“ Er zwinkerte Rhianna zu und sprang dann munter die Treppenstufen hinunter.
Bis seine Schritte verhallt waren, sprach keiner ein Wort, dann gingen Raoul und Rhianna in die Wohnung und schlossen die Tür hinter sich.
„Kommt der öfter hier vorbei?“, erkundigte er sich brummig.
„Von Zeit zu Zeit.“
„Carrie hat mir nichts davon gesagt, dass ihr euch hier trefft.“
„Vermutlich ist es für sie nicht von Bedeutung“, antwortete sie ausweichend und hob leicht die Schultern. „Wir sind ja schließlich auch keine Fremden, er und ich.“
„Nein“, stimmte er zu. „Hatte ich fast vergessen.“ Mit dem Zeigefinger deutete er auf ihren Bademantel. „Und empfängst du ihn üblicherweise so dürftig angezogen?“
„Natürlich nicht.“ Wenigstens war ihre Entrüstung nicht gespielt. „Und ich habe auch nicht erwartet, dass er heute hierherkommt, falls du das als Nächstes fragen willst.“
„Ganz ehrlich, ich weiß nicht, was ich davon halten soll.“ Er sah sich um. „Wo ist eigentlich deine verheulte Mitbewohnerin?“
„Ausgegangen“, sagte sie knapp.
„Na, wenigstens eine gute Neuigkeit“, seufzte er. „Wieso vergessen wir das Kino nicht einfach und bleiben hier?“
Wenn ich nur drei Schritte nach vorn gehe, kann ich ihn in meine Arme schließen, dachte sie. Dann wären alle Fragen unwichtig. Ich will ihn, und er will mich – so einfach ist das.
Ganz so leicht war die Angelegenheit natürlich nicht, denn Sex ohne Verpflichtungen konnte eine ganze Reihe unangenehmer Folgen haben … Zudem war Raouls Verhalten ein Rätsel für Rhianna. Er sprach davon, dass sie vor fünf Jahren fortgelaufen wäre, hat aber nie Anstalten gemacht, ihr zu folgen. Seine Gefühle ihr gegenüber waren ihr völlig unklar.
Was sie dagegen für ihn empfand, wusste sie ganz genau. Aber wollte sie sich derart entwerten und trotz ihrer aufrichtigen Emotionen für Raoul lediglich zur Befriedigung seiner momentanen Bedürfnisse zur Verfügung stehen? Sollte es ihr wie Donna ergehen?
„Meine Mitbewohnerin wird bald wieder hier sein. Mit einem Wort: Kino oder nichts.“ Ihr Blick wurde kalt. „Und angesichts deiner Laune verlegen wir uns wohl lieber auf die zweite Möglichkeit.“
Scheinbar unendlich lange starrte er sie an, und Rhianna fühlte sich, als würde Raoul sie mit seinen Blicken ausziehen. Dann wandte er sich abrupt ab und verließ die Wohnung.
Erschöpft und enttäuscht ließ Rhianna sich rückwärts gegen die Wand fallen und verbarg das Gesicht in den Händen.
Seufzend sah sie sich in ihrer Kabine um und beschloss, ihre Kleider wieder in ihrer alten Reisetasche zu verstauen. Nachdem sie das Stück aus dem Schrank hervorgezerrt hatte, fand sie in der Vordertasche einen braunen Briefumschlag, der eine Mappe mit Fotos und eine kurze Notiz enthielt.
Liebe Miss Carlow,
dies haben wir gefunden, als die Personalwohnung aufgelöst worden ist. Die Mappe war hinter einen Schrank gefallen. Vermutlich gehörte sie Ihrer verstorbenen Tante, und wir dachten, Sie möchten die Fotos vielleicht haben.
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