Liebst du mich wirklich, Raoul
sicherer gewesen.
Aber an diesem Tag ging sie mit hinunter ans Meer, planschte barfuß im kristallklaren Wasser und war zum ersten Mal seit Wochen wieder ein richtig glückliches Kind. Sie nahm an, Simon – der ein paar Jahre älter war – wäre Carries Bruder, doch weit gefehlt!
„Mein Bruder? Himmel, nein! Wir sind beide Einzelkinder, genau wie du“, erklärte Carrie unbeschwert. „Und er ist eigentlich nur ein Tourist. Eine von den Ameisen!“ Lachend wich sie aus, als ihr Simon mit grimmiger Miene einen Stoß versetzen wollte.
„Was meinst du damit?“, fragte Rhianna verwundert.
Simon schnitt eine Grimasse. „So nennt man hier die Menschen, die nicht in Cornwall leben, sondern nur für die Ferien herkommen. Und weil im Sommer so viele Besucher an die Küste kommen, bezeichnen die Einwohner sie als Ameisenplage. Auf mich trifft das aber nicht wirklich zu, weil wir ein eigenes Haus in der Nähe besitzen und unser halbes Leben hier verbringen.“
„Deshalb müssen wir uns auch wochenlang am Stück mit ihm rumschlagen“, jammerte Carrie übertrieben.
Aber so jung sie auch waren, instinktiv wusste Rhianna, dass Carrie es nicht ernst meinte und Simon schon längst das Zentrum ihres kleinen Universums war.
Am Ende der Osterferien würden die beiden auf ihre Eliteinternate zurückkehren, während Rhianna die örtliche Schule in Lanzion besuchte.
„Ich freue mich schon auf die langen Sommerferien“, rief Carrie begeistert. „Dann ist das Wasser in der Bucht ganz niedrig, und wir können jeden Tag schwimmen oder picknicken, und bei schlechtem Wetter gehen wir einfach in die Hütte.“
Damit meinte sie das große Holzhaus, das direkt am Strand stand. Darin befanden sich nicht nur jede Mende Sonnenliegen, Stühle und Auflagen, sondern auch ein großzügiger Wohnzimmerbereich mit eingebauter Küchenzeile, Schlafsofa und riesigem Esstisch. Der alte Ben Penvarnon, Raouls Vater, hatte sogar Stromleitungen verlegen lassen.
„Es wird großartig“, versprach Carrie mit einem hinreißenden Lächeln auf den Lippen. „Ich bin wirklich froh, dass du hier eingezogen bist.“
Selbst Tante Kezias offensichtliches Missfallen und die Tatsache, dass Carries Mutter, Moira Seymour, Rhianna bei den wenigen Begegnungen, die sie hatten, völlig ignorierte, konnten Rhiannas wachsendes Wohlbefinden nicht stören. Sie entspannte sich zunehmend und fühlte sich mehr und mehr zu Hause.
Aber noch immer trauerte sie um ihre Mutter, umso mehr, nachdem Tante Kezia verboten hatte, den Namen Grace Carlow in ihrer Gegenwart zu erwähnen. Jedes Gespräch über Rhiannas Mutter war tabu. Es gab keine Fotos oder andere Erinnerungsstücke – selbst das gerahmte Bild von der Hochzeit ihrer Eltern wurde ihr weggenommen und in einer Schublade verstaut.
Wenigstens gefiel Rhianna die neue Schule, und am Ende des Schuljahres bekam sie sogar eine Rolle in einem Theaterstück der Schülergruppe. Die Aufführung sollte nach intensiven Proben dann kurz vor Weihnachten stattfinden.
Doch leider hatte Tante Kezia etwas dagegen. „Du wirst nichts dergleichen tun!“, bestimmte sie eisern. „Ich lasse nicht zu, dass du dich in den Vordergrund drängst, denn so etwas bringt nur Ärger. Und davon hatten wir in der Vergangenheit weitaus genug“, fügte sie voller Bitterkeit hinzu. „Einmal abgesehen von dem ganzen Quatsch mit Miss Caroline. Und das, nachdem ich dir eindeutige Anweisungen gegeben habe!“ Geräuschvoll holte sie Luft. „Denk bitte immer daran, dass du hier nur geduldet wirst, Mädchen, und halte dich möglichst im Hintergrund! Kaum zu glauben, dass Mrs. Seymour dir erlaubt hat, in ihrem Haus zu leben.“
„Penvarnon House gehört doch gar nicht ihr“, widersprach Rhianna. „Carrie hat mir erzählt, dass der eigentliche Besitzer ihr Cousin Raoul ist. Aber der ist die meiste Zeit im Ausland, er reist als Bergbauspezialist durch die ganze Welt, und oft lebt er in Südamerika, weil er dort Ländereien besitzt. Carries Eltern passen für ihn auf das Anwesen auf. Sie sagt, wenn er irgendwann heiraten sollte, müssen sie sich eine andere Bleibe suchen.“
„Miss Caroline redet eindeutig zu viel“, antwortete ihre Tante grimmig. „Auf jeden Fall werde ich ein Wörtchen mit deiner Lehrerin sprechen. Und du schlag dir diesen Schauspielblödsinn aus dem Kopf – ein für alle Mal!“
Trotz Rhiannas tränenreicher Proteste war ihre Tante zur Schule gefahren.
„Du Arme“, bedauerte Carrie ihre Freundin, nachdem sie erfahren hatte,
Weitere Kostenlose Bücher