Liebster Mitbewohner
ich waren meiner Meinung nach der lebende Gegenbeweis zu Elenas These. Das alles sagte ich jedoch nicht. Weil Elena und ich dieses Gespräch schon mindestens einhundertmal geführt hatten. Keine von uns hatte besonders Lust auf ein einhundertunderstes Mal.
Am nächsten Morgen weckte mich weder der Wecker noch laute Musik. Sondern das penetrante Schrillen der Türklingel.
„Felix“, murrte ich. „Geh du, ich hab Kopfschmerzen.“ Das war eine Lüge, wie ich selbst erstaunt feststellte. Mir ging es sogar ziemlich gut. Na ja, einen leichten Druck im Kopf hatte ich s chon, wahrscheinlich Dehydrierung. Aber ansonsten keine Spur von einem Kater. Dafür war ich schrecklich müde.
Die Klingel schrillte ein weiteres Mal.
„Felix“, quengelte ich. „Steh auf!“
Aber mein Zimmergenosse rührte sich nicht.
Unwillig öffnete ich die Augen und setzte mich auf. „Alles muss man selbst machen. Aber glaub ja nicht, dass du weiter schlafen kannst. Ich geh jetzt an die Tür und dann komm ich mit einem Eimer Wasser wieder, den ich dir…“ Ich hielt in meiner Tirade inne. Denn es hörte mir niemand zu. Felix‘ Bett war leer.
„Na super. Uns mit der ganzen Arbeit allein lassen, das sieht dir ähnlich.“ Unser Zimmer glich einem Schlachtfeld. Heute Morgen, als auch die letzten Gäste gegangen waren, hatten wir nur sein Bett und mein Sofa von den gröbsten Chipskrümeln und Getränkeflecken befreit und uns um den Rest nicht gekümmert. Jetzt, wo die Mittagssonne das Zimmer hell ausleuchtete, breitete sich vor mir die ganze Katastrophe aus. Flecken verschiedenster Farben auf dem Laminat. Krümel, umgestoßene Bierflaschen und Pappbecher, wohin ich auch sah.
Die Türklingel schrillte abermals, diesmal länger. Ich ließ das Chaos Chaos sein und tappte über den klebrigen Boden zur Zimmertür, über den Flur und zur Sprechanlage. „Hallo?“
„Valerie hier. Hab ich euch geweckt?“
Ich lehnte mich leise stöhnend gegen die Wand. Was wollte die denn?
„Ich war mir nicht sicher, wie früh ich klingeln kann, weil ihr ja gestern diese Party gefeiert habt. Aber jetzt ist es schon eins.“
„Ich war schon wach“, sagte ich und wusste nicht einmal, warum ich log. „Aber Felix ist, glaube ich, nicht da. Ich könnte mal in der Küche und im Bad nachsehen…“
„Mach dir keine Mühe. Eigentlich wollte ich sowieso zu dir. Ich dachte mir schon, dass Felix heute früh die Wohnung verlassen würde , um einer Konfrontation mit mir aus dem Weg zu gehen.“
War Felix tatsächlich deswegen so früh aufgestanden? Schließlich war er genauso spät schlafen gegangen wie ich und seine neue Stelle im Café trat er erst in einer Woche an.
„Darf ich raufkommen?“
„Es ist gerade schlecht. Die Wohnung ist ein Schlachtfeld, wir müssen aufräumen.“
„Mach dir deswegen keine Gedanken. Mich stört die Unordnung nicht. Wenn du willst, helfe ich beim Aufräumen.“
Ich versuchte angestrengt, mir irgendeine Ausrede einfallen zu lassen. Irgendetwas, das mich vor dem Gespräch mit Felix‘ Ex-Freundin bewahren würde. „In Ordnung“, gab ich schließlich auf und drückte den Türöffner. Während ich darauf wartete, dass Valerie die Stufen zum zweiten Stock hinaufstieg, fragte ich mich, was sie wohl von mir wollte. Und mir kam ein schrecklicher Verdacht: Glaubte sie am Ende, ich wäre Felix‘ Neue? Ich kämpfte gegen den Impuls, die Wohnungstür zuzuknallen und mich in meinem Zimmer zu verkriechen.
Da erschien Valerie bereits in meinem Blickfeld. Sie sah genauso frisch und schön aus, wie ich sie von gestern Abend in Erinnerung hatte. Heute hatte sie die rotblonden Locken hochgesteckt und trug ein enges dunkelblaues Kleid mit passenden Pumps und einem dünnen, blau-weiß karierten Halstuch. Alles in allem erinnerte sie mich in diesem Outfit ein bisschen an eine Flugbegleiterin. Eine sehr attraktive Flugbegleiterin.
Ich fühlte mich in der verknitterten Jeans, in der ich nun schon mehrere Nächte geschlafen hatte und in dem zu großen T -Shirt vollkommen fehl am Platz.
„Guten Morgen.“ Valerie lächelte herzlich. Sie hielt eine Papiertüte, offensichtlich von der Bäckerei gegenüber, hoch. „Ich hoffe, du hast noch nicht gefrühstückt.“ Ihre hellbauen Augen schienen mit ihrem ganzen Gesicht mitzulachen.
„Nein, hab ich noch nicht.“ Ich trat zur Seite, damit Valerie die Wohnung betreten konnte.
„Na, das sieht doch gar nicht so schlimm aus. Oder habt ihr hier schon aufgeräumt?“
Verwirrt sah ich mich im
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