Liebster Mitbewohner
genug, um mich neben Valerie zu setzen. Ich beobachtete sie aus den Augenwinkel n, als sie die Butter öffnete, mit dem Messer eine dünne Schicht davon nahm, sie auf ihr Croissant schmierte und abbiss.
Ich nahm ebenfalls das Messer zur Hand und schnitt mein Croissant längs auf.
„Ich mag eure Wohnung“, sagte Valerie plötzlich. „Obwohl ich fast noch gar nichts davon gesehen habe. Aber die Küche ist toll, so gemütlich. Sie ist bestimmt der Mittelpunkt der WG, oder? Eine Art Treffpunkt.“
„Ja.“ Ich verteilte ein Päckchen Nutella auf meinem Croissant und nahm den ersten Biss.
„Ich habe noch nie in einer WG gewohnt. Ich wollte es auch nie und konnte nicht verstehen, wie so viele andere es mit so einer Wohnsituation aushalten können. Aber plötzlich bekomme ich richtig Lust, es auch mal zu versuchen.“
Ich sagte nichts dazu, denn ich hatte nicht das Gefühl, dass Valerie überhaupt einen Kommentar von mir erwartete.
„Aber jetzt ist es zu spät.“ Sie seufzte. „Manche Sachen muss man eben ausprobieren, wenn man jung ist. Oder gar nicht.“
„Wie alt bist du?“, konnte ich mir nicht verkneifen zu fragen.
„Sechsundzwanzig.“
„Dann bist du ein Jahr jünger als ich. Und als Daniel und Felix. Und wir alle wohnen in dieser WG.“ Ich gab mir alle Mühe, meine Stimme neutral klingen zu lassen.
„Ich wollte dich und deinen Freund nicht beleidigen. Aber Felix wohnt schließlich nicht wirklich hier.“ Sie lachte. „Er steckt in einer Krise. Aber diese Phase wird vorübergehen und dann wird er hier ausziehen. Er ist überhaupt nicht der Typ für eine WG, das ist dir bestimmt auch schon aufgefallen.“
„Es funktioniert alles ganz wunderbar.“
„Tatsächlich?“ Sie hob ungläubig eine ihrer hellbraunen Augenbrauen.
Hatte ich Valerie gestern Abend noch als Opfer gesehen, war sie mir plötzlich von Herzen unsympathisch. Ich legte das angebissene Croissant auf den Teller. Ich hatte keinen Appetit mehr. Stattdessen nahm ich noch einen Schluck Kaffee. „Warum bist du hier?“ Und wann gehst du wieder? , fügte ich in Gedanken hinzu.
„Um Felix sein Notebook zu bringen und um mit ihm zu reden.“
„Das war gestern Abend. Ich meine, warum bist du jetzt hier? Du hast an der Sprechanlage gesagt, dass du wusstest, dass Felix nicht da ist. Und dass du zu mir wolltest.“
Valerie lächelte. „Ich wusste natürlich nicht mit Sicherheit, dass Felix nicht da ist. Aber ich kenne ihn gut und er neigt dazu, Dingen, mit denen er sich nicht auseinandersetzen will, aus dem Weg zu gehen.“
Ich schlürfte weiter meinen Kaffee und wartete darauf, dass sie meine Frage beantworten würde. Doch vorerst sah es nicht danach aus.
„Deshalb hat er auch einfach Berlin verlassen. Er hat von einem Tag auf den anderen seine Stelle gekündigt, seinen Resturlaub genommen und hat dem Krankenhaus den Rücken gekehrt. Mir hat er kein Wort davon erzählt. Ich arbeite in demselben Krankenhaus, musst du wissen. Ein paar Stunden später habe ich es von einem Kollegen erfahren. Ich habe versucht, Felix anzurufen, aber er ist nicht ans Handy gegangen. In der Mittagspause bin ich zu seiner Wohnung gefahren, doch er hat nicht aufgemacht. So ging das ein paar Tage, bis ich zufällig Felix‘ Vermieter traf und der mir sagte, dass Felix seine Wohnung zum schnellstmöglichen Termin kündigen will. Ein netter älterer Mann ist das, wirklich. Leider konnte der ja nicht ahnen, dass Felix gerade in so einer Phase steckt und dachte noch, er täte ihm was Gutes, indem er ihn bereits zum Ende des Monats kündigen ließ. Als ich ihn traf, sagte er Vermieter, Felix hätte seine Sachen bereits aus der Wohnung geschafft. Ich habe keine Ahnung, wo er das ganze Zeug hingebracht hat. Vielleicht zu irgendeinem Freund. Und dann war er weg, hatte die Stadt verlassen. Und ich wusste nicht einmal, wo er hingegangen war.“
„Er hat nicht mit dir schlussgemacht?“, hakte ich nach.
„Hat er das etwa erzählt?“
Ich nickte.
„Das sieht ihm ähnlich. Nein, hat er nicht. Er hat weder mit mir geredet, noch eine Nachricht hinterlassen oder mir auch nur eine SMS geschickt. Er war von einem auf den anderen Tag aus meinem Leben verschwunden.“
„Arschloch“, rutschte es mir heraus. Ich konnte diese Valerie zwar nicht leiden, aber so ging man einfach nicht mit Menschen um. Schon gar nicht mit jemandem, mit dem man eine Beziehung geführt hatte.
„Ja, das dachte ich auch.“
„Und du hast keine Ahnung, wieso er einfach abgehauen
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