Liebster Mitbewohner
noch was?“
„Exakt.“
„Damit kann ich leben.“
„Wie schön.“ Ich ließ ihn stehen und näherte mich unserer Zimmertür. Davor hielt ich kurz inne. Dann tat ich einen tiefen Atemzug und trat ein. Plötzlich fühlte ich mich um zwei Wochen zurückversetzt. Felix lag auf seinem Bett, die Arme unter dem Kopf verschränkt, und starrte an die Zimmerdecke. Gut, damals hatte er sein leeres Gestarre meist als Lesen in einem Buch oder einer Zeitschrift getarnt. Doch die Atmosphäre, die ihn umgab, war dieselbe und löste Gänsehaut auf meinen Armen aus. Ich schloss so leise wie möglich die Tür hinter mir. Unschlüssig blieb ich im Raum stehen, bevor ich mich auf mein Sofa setzte. Ich hätte gern neben Felix auf dem Bett Platz genommen, aber ich traute mich nicht. Plötzlich war da wieder diese Distanz, ausgelöst durch einen unsichtbaren Wall der Ablehnung, den Felix innerhalb von Sekunden um sich aufbauen konnte. Ich versuchte, mich daran zu erinnern, dass wir inzwischen Freunde waren und nicht mehr die Fremden, die sich nicht leiden konnten aber trotzdem gezwungen waren, sich ein Zimmer zu teilen. Es gelang mir nicht. „Du machst mir Angst.“
Langsam drehte Felix den Kopf. Ich meinte, kurz einen Schimmer Wärme in seinen Augen zu sehen, bevor er den Blick von mir ab- und zum Fenster wandte. „Lass mich einfach in Ruhe.“
„Sonst geht’s dir aber gut, ja?“, rief ich und war plötzlich auf den Beinen. „Was, verdammt noch mal, ist passiert?“
„Ich will nicht drüber reden.“
„Ist mir egal!“
„Tja, mir aber nicht.“
Ich musste an mich halten, um nicht zum Bett zu stürzen und die Indifferenz aus ihm heraus zu schütteln. Stattdessen starrte ich ihn voller ohnmächtiger Wut an.
Er warf mir einen kurzen Blick zu. „Es geht dich einfach nichts an.“
„Es geht mich nichts an? Wir wohnen zusammen auf engstem Raum.“ Ich trat einen zögernden Schritt auf das Bett zu. „Okay, vielleicht ist das wirklich kein Grund. Aber ich betrachte dich als Freund. Ich will wissen, warum es dir schlecht geht, weil ich dir helfen will.“
„Es geht mir nicht schlecht.“
„Ja, sicher.“
„Und das mit dem Wohnen hat sich sowieso bald erledigt. Freu dich, bald hast du das Zimmer für dich allein.“
Ich erstarrte. Mein Körper fühlte sich plötzlich taub an, das Atmen fiel mir schwer. Ich brauchte drei Versuche, bis ich meine Stimme wieder fand. „Du ziehst aus?“
„Morgen. Ich hab schon die Zugtickets gebucht.“
„Zugtickets?“
„Ich ziehe zu Valerie, nehme mein Leben wieder in die Hand. Ich werde versuchen, meinen alten Job wieder zu bekommen.“
Mir war schwindelig. Ich streckte die Hand aus, um mich an der Sofalehne abzustützen. Ein zittriges Lachen bahnte sich den Weg aus meiner Kehle. „Ist das ein Scherz?“
Felix sah mich nur mit ausdrucksloser Miene an. Es war kein Scherz.
„Was hat Valerie mit dir angestellt? Gestern noch warst du dir sicher, dass du all diese Dinge nicht willst!“ Mir fiel seine Bemerkung übers Schreiben ein. Seine Jounalistikpläne hatte ich nach der Sache mit Leon total vergessen. „Du wolltest doch zu einer Zeitung, für sie schreiben.“
„Mann Maja, wach doch mal auf! Ja, ich habe früher gern geschrieben und eine Zeit lang habe ich mit dem Gedanken gespielt, etwas in die Richtung zu machen. Aber ich bin Arzt geworden, das ist mein Beruf. Schreiben ist einfach nur ein Hobby, das ich mal hatte, aber mehr nicht.“
„Es könnte aber mehr sein!“
„Du kapierst es nicht, oder?“ Felix hatte sich aufgesetzt. „Was denkst du, warum ich Valerie all die Zeit aus dem Weg gegangen bin, warum ich nicht mit ihr reden wollte? Weil ich wusste, dass sie mich in die Realität zurückholen würde. Weil ich wusste, dass sie recht hat und ich dann nicht weiter so tun kann, als wäre das Leben, das ich jetzt führe, in Ordnung.“
„Und was soll daran nicht in Ordnung sein?“, fragte ich leise.
„Wir sind siebenundzwanzig, Maja. Wir sind nicht zu jung, um uns festzulegen, im Gegenteil. Dir kommt es vielleicht so vor, als hättest du noch ewig Zeit, alles Mögliche auszuprobieren. Aber ich habe etwas erreicht. Warum sollte ich in meinem Alter noch mal ganz von vorne anfangen?“
„Okay, mal abgesehen davon, dass du was erreicht hast und ich nicht…“
„So habe ich es nicht gemeint“, unterbrach Felix augenrollend.
Ich ignorierte ihn. „Mal abgesehen davon, kann es sein, dass dich all die Erwartungen fertig machen? Deine Eltern, deine Ex…
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