Liebster Mitbewohner
Handy.“
Ich war mir sicher, dass mir in diesem Moment die Gesichtszüge entglitten. „ Bitte? “
„Da Sie sich scheinbar nicht an die Regeln halten können, muss ich Sie wohl dazu zwingen.“
„Ich habe nur kurz eine SMS-“
„Habe ich Ihnen bei Ihrer Einstellung gesagt, dass Handys während der Arbeit im Spint bleiben müssen?“
„Schon, aber Patrick-“
„Der hat eine pflegebedürftige Mutter und muss für Notfälle immer erreichbar sein.“
Wenn das dieselbe Mutter war, in deren Begleitung ich Patrick neulich in der Kletterhalle getroffen hatte, war sie für ihren Zustand noch recht flott die Fünf-Meter-Wand emporgekrakselt.
Frau Schneiders ausgestreckte Hand wippte ungeduldig.
Ich hielt verzweifelt Ausschau nach einem Kunden. Irgendeinem, der mich aus dieser absurden Situation retten könnte. Doch der Laden war so leer wie selten. Also ließ ich mein Handy in Frau Schneiders knochige Finger sinken.
„Kann ich es nach der Schule… äh, nach meiner Schicht wieder haben?“
Der Blick meiner Chefin wurde nach meinem absichtlichen Versprecher noch finsterer. „Natürlich, es gehört schließlich Ihnen.“
Zum Glück hatte ich meine Mittagspause schon hinter mir, so dass mir der Verlust meines Handys nicht weiter wehtat. Zwar hätte ich zu gerne gelesen, was Elena auf meine SMS geantwortet hatte, doch das war nun nicht gerade überlebenswichtig. Außerdem hatte ich meine beste Freundin unterschätzt. Eine halbe Stunde, nachdem Frau Schneider mit meinem Handy in den Personalbereich verschwunden war, hetzte Elena in den Laden. „Wieso antwortest du denn nicht mehr?“, keuchte sie.
„Die böse Lehrerin hat mein Handy einkassiert.“
„Im Ernst?“ Elena kicherte. „Dann erzähl mir jetzt von gestern. Los!“
„Ist das dein Ernst ? Wenn die Schneider sieht, wie ich mit dir plaudere statt zu arbeiten, klebt die mir noch den Mund mit Tesa zu.“
Doch Elena quengelte so lange, bis ich nachgab. Bei ihrer sonst so erwachsenen Art würde man nie vermuten, dass sie besser jammern konnte, als jede Zweijährige. Aber sie konnte. Wenigstens half sie mir, die Augen nach Frau Schneider offen zu halten.
„Ich glaub’s ja nicht“, sagte sie mit großen Augen, nachdem ich geendet hatte. „Der Kerl wird mir immer sympathischer. Warum willst du noch mal nicht heiraten?“
„Weil das ein veraltetes und heutzutage komplett überflüssiges Ritual ist, das einzig darauf abzielt, spießigen ängstlichen Menschen das Gefühl von Sicherheit und Vorhersagbarkeit zu spenden.“
„Hm, wusste ich doch. Irgendwas mit spießig.“
„Und selbst wenn es nicht so wäre würde ich ganz sicher nicht ausgerechnet Felix heiraten.“
„Wieso nicht? Ist dir mal aufgefallen, dass du fast ständig von ihm redest? Felix hier, Felix dort. Von Leon hast du nie so viel geredet, als ihr noch zusammen wart.“
Die Leichtigkeit, mit der Elena von meiner Beziehung in der Vergangenheitsform sprach, versetzte mir noch immer einen Stich. Ich ignorierte ihn und konzentrierte mich auf das Thema. „Weil wir befreundet sind. Ist das so schwer zu verstehen? Ach, stimmt ja, Freundschaft zwischen Mann und Frau geht ja überhaupt nicht. Sorry, ich hab vergessen, dass deine Ansichten noch bei den Neandertalern feststecken.“
„Ach komm, das sieht man einfach, das s ihr beide nicht nur Freunde seid.“
„Ach ja? Und woran genau sieht man das?“
In diesem Moment erschien die Schneider auf der Treppe und Elena blieb mir eine Antwort schuldig.
„Frau Schneider, Sie hab ich gesucht!“ Elena redete auf unsere Chefin ein, faselte irgendwas von Dienstplan und Urlaubstagen, damit diese gar nicht erst auf die Idee kam, mir Kaffeeklatsch während der Arbeitszeit vorzuhalten. Elene dirigierte Frau Schneider die Treppe hoch, wahrscheinlich in Richtung Personalbereich. Bevor die beiden aus meinem Blickfeld verschwanden, formte Elena aus Daumen und kleinem Finger der rechten Hand einen imaginären Telefonhörer, den sie sich ans Ohr hielt.
Ich nickte und war zum ersten Mal in meinem Leben froh, dass die Schneider ein Gespräch zwischen mir und Elena unterbrochen hatte.
In dem Moment, in dem ich die Haust ür aufschloss, wusste ich, dass etwas nicht stimmte. Eine gespenstige Stille lag über der Wohnung. Fast so, als würden alle Zimmer die Luft anhalten. Die Tür zu meinem und Felix‘ Zimmer war geschlossen. Ein ungewöhnlicher Zustand, seit Felix aus seiner Lethargie erwacht war. Ob er zu Hause war oder nicht – meist war die
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