Liebster Mitbewohner
anfunkelte, wandte er sich wieder seiner Tasche zu. Er schleppte sie zum Kleiderschrank und begann, seine Kleidung einzuräumen. Dieser Anblick fesselte mich so sehr, dass ich beinahe Elenas Antwort verpasste: „Na schön. Ich heule. Zufrieden?“
„Ja, bin ich. Und weißt du auch, wieso? Weil das, was Steffen gesagt hat, wirklich zum Heulen ist. Und zwar vor Rührung und Freude. Du heulst doch vor Freude, oder?“
„Ich... weiß nicht.“ Sie hielt in ihrem Schniefen inne. „Mann Maja, keine Ahnung. Ich habe mit Heulen nicht so viel Erfahrung.“
„Fühlst du dich schuldig, weil du Steffen völlig falsch eingeschätzt hast?“
„Ich hätte wirklich nicht erwartet, dass er so um mich kämpfen würde.“
Ich nickte nachdenklich, bis mir einfiel, dass Elena mich nicht sehen konnte. „Ja. Und dass er wirklich bereit ist, sich für dich zu ändern.“
Elena schwieg einen Moment. „Doch, das wusste ich. Irgendwie. Ach mann, Maja, ich war so ein Esel.“
„Du wusstest, dass er sich für dich ändern würde, wenn du nur den Mund aufmachst?“
„Naja, sagen wir, ich habe es geahnt. Mehr so unterbewusst. Aber eigentlich war es mir nicht wichtig, weil ich ihn ja gar nicht ändern wollte. Alejandro, du erinnerst dich? Außerdem liebe ich Steffen doch genauso, wie er ist. Ganz lange Zeit habe ich mich so gut wie gar nicht über seine Eigenarten aufgeregt. Sie haben mich ganz einfach nicht gestört. Mit der Zeit war ich zwar manchmal etwas genervt, aber das schlimmste war, dass alle direkt auf den Zug aufgesprungen sind. Du hast dich ja noch zurückgehalten, aber meine Mutter und ein paar andere Freundinnen – ich war richtig geschockt. Die haben sich zehnmal mehr über Steffens Verhalten aufgeregt als ich.“
„Irgendwann hast du kaum noch von ihm erzählt.“
„Weil ich es leid war, ständig zu hören zu bekommen, wie schlecht mein Freund angeblich ist. Kann man sich nicht mal über seine Beziehung beklagen, ohne durch die Blume gesagt zu bekommen, dass man sie besser beenden sollte?“
„Aber das hat doch niemand böse gemeint. Ich denke, sie dachten einfach, dass du dir jemand anderes suchen solltest, wenn du nicht zufrieden bist.“
„Aber genau das ist doch der Punkt, Maja!“ Elenas Stimme war um eine Oktave gestiegen. Von Tränen war nichts mehr zu hören. „Alle sagen immer, dass man heutzutage ja so viel Auswahl hat, was potenzielle Partner angeht, so dass man sich quasi den Besten rauspicken kann. Klar, stimmt auch. Aber das heißt nicht, dass der Beste perfekt ist. Niemand ist das. Aber weil die Auswahl so riesig scheint, schrauben wir unsere Ansprüche so dermaßen hoch, dass wir mit dem Partner gar nicht zufrieden sein können .“
Ich musste lächeln. „Meine beste Freundin ist eine extrem kluge Frau, weißt du das?“
„Ich weiß.“ Ich hörte, dass auch sie lächelte.
„Du meinst, dass Steffen der beste Partner für dich ist, oder?“
„Sieh an. Meine beste Freundin ist auch nicht auf den Kopf gefallen.“ Sie kicherte. „Dass Steffen der Richtige für mich ist, habe ich eigentlich immer gefühlt. Dann habe ich es irgendwann plötzlich vergessen. Aber heute hat er mich daran erinnert.“ Sie seufzte. „Wahrscheinlich ist es die größte Herausforderung unserer Generation, unsere Beziehungen vor unserem Umfeld zu rechtfertigen. Früher nahm man den Erstbesten, den man kriegen konnte und heiratete ihn. Niemand stellte das infrage. Im Gegenteil: Wenn man sich scheiden lassen wollte war das eine riesen Sache.“
„Jetzt mach mal halblang“, stoppte ich ihren Redefluss, weil ich Angst hatte, dass dieser in eine längere philosophische Abhandlung ausarten würde. „Was habt ihr in letzter Zeit alle mit diesem Früher- war-alles-besser-Quatsch? Dani hat mir letztens auch zu erklären versucht, dass Beziehungen früher einfacher weil wichtiger waren.“
„Es geht doch nicht darum, dass früher alles besser war. Ich bitte dich! Was ich sagen will, ist: Heute ist es auch nicht leicht.“
„Amen. Vielleicht solltest du dich mal mit Dani zusammensetzen.“
„Vielleicht mach ich das, da meine beste Freundin für solch ein anspruchsvolles Gesprächsthema offensichtlich zu einfach gestrickt ist.“
„Beleidige mich ruhig weiter, aber hast du nicht eigentlich was Besseres zu tun? Zum Beispiel bei deiner Mutter auszuziehen und dich tränenreich mit deinem Freund zu versöhnen?“
„Du hast Recht. Oh mann, wie Recht du hast.“
Ich wartete, dass sie auflegen würde. Doch die
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