Liebster Mitbewohner
hinüber. Er hatte mir den Rücken zugewandt und schien noch tief und fest zu schlafen. So leise wie möglich schlich ich mit frischer Kleidung auf dem Arm aus dem Zimmer und ins Bad. Dort kratzte ich mir erst mal die Make-Up-Reste vom Vortag herunter. Als ich Zähne geputzt hatte und endlich unter der wohltuenden, lauwarmen Dusche stand, versuchte ich krampfhaft, mir eine sinnvolle Tagesbeschäftigung zu überlegen. Eine, bei der ich Felix möglichst aus dem Weg gehen konnte. Wohnung aufräumen fiel also schon mal weg.
Als ich mit nassen Haaren das Bad verließ, war mir immer noch nichts Sinnvolles zu meiner Tagesplanung eingefallen. Ich beschloss, auf jeden Fall außer Haus zu frühstücken und danach weiter zu sehen. Vielleicht konnte ich Elena besuchen? Soweit ich wusste, hatte sie heute auch frei. Dann fiel mir die Versöhnung mit Steffen wieder ein. Außerdem hörte ich schon Elenas bes serwisserische Stimme im Ohr: „Ich hab dir doch gleich gesagt, dass du in ihn verliebt bist. Hättest du es damals zugegeben, wäre es nie so weit gekommen.“ Nein, darauf hatte ich fast noch weniger Lust, als mit Felix den ganzen Tag in der Wohnung festzuhocken.
Ich schnappte mir gerade meine Handtasche aus dem Zimmer, als das blöde Handy darin zu klingeln begann.
„Bist du bescheuert?“, maulte Felix bereits . Er rollte sich herum.
Ich flüchtete aus dem Zimmer und knallte die Tür hinter mir zu. Im Flur nahm ich hektisch das Gespräch an, ohne vorher auf dem Display nach der Nummer zu schauen. „Hallo?“ Mit der freien Hand zog ich mir meine Stiefel über die Füße.
„Hallo Schatz, hier ist deine Mutter.“
Auch das noch. Ich hielt erschrocken den Atem an. Waren das gerade Schritte aus Felix‘ Zimmer gewesen? Panisch schlüpfte ich aus der Wohnung.
„Schatz? Bist du noch dran?“
„Entschuldigung“, keuchte ich. „Warte kurz.“ Ich legte das Handy zur Seite und zog mir die Schuhe richtig an. Verdammt, ich hatte meinen Mantel vergessen. Außerdem waren meine Haare noch nass. Ich würde mir den Tod holen. Die Luft anhaltend legte ich mein Ohr gegen die Wohnungstür und lauschte. Kein Zweifel. Ich hörte Schritte aus dem Flur. Felix war aufgestanden. Fluchend griff ich nach meinem Handy und machte mich auf den Weg nach unten. Vielleicht hatte Felix etwas außer Haus zu erledigen. Womöglich würde er auch gleich durchs Treppenhaus kommen. Ich musste hier weg.
„Schatz?“, rief die Stimme meiner Mutter aus meiner Jackentasche, wo ich das Handy achtlos hineingestopft hatte. Ich angelte es heraus, mit der freien Hand öffnete ich die Haustür. Ein eisiger Wind wehte mir entgegen und ließ mich erzittern.
„Was gibt’s denn?“, hauchte ich ins Handy. Dabei gab ich mir alle Mühe, meine Stimme nicht vor Kälte zittern zu lassen.
„Darf ich nicht mal einfach so meine einzige Tochter anrufen?“
„Doch, natürlich.“ Weil ich keine bessere Idee hatte, machte ich mich auf den Weg zur U-Bahn-Station. „Wie stehen die Dinge im Kuhka-, ähm… bei euch?“
„Ach , na ja“, seufzte meine Mutter.
Ich wusste, dass dies die Einleitung zu einer ewiglangen Erzählung sein würde. Prinzipiell hatte ich nichts dagegen, vor allem, weil ich meine Mutter so lange nicht mehr gesprochen hatte und ihre Geschichten mich wenigstens von Felix ablenken würden. Leider fror meine Hand jetzt schon am Handy fest. Ich begann zu rennen.
„Der Winter ist immer so eine Sache bei uns, das weißt du ja. Dein Vater ist unzufrieden, weil er nichts im Garten machen kann und hockt abends mit so einem Gesicht vor dem Fernseher. Nichts ist ihm recht zu machen.“
„Mama“, unterbrach ich, weil ich in diesem Moment die U-Bahn-Station erreicht hatte.
„Ja? Stör ich dich schon wieder?“
„Nein, aber die Verbindung wird gleich weg sein. Ich muss runter zur Bahnstation.“
Meine Mutter seufzte theatralisch.
„Aber wie wäre es, wenn ich dich besuchen komme? Jetzt gleich. Also, das heißt, ich würde jetzt losfahren.“
„Kind, das wäre wunderbar! Wir könnten mal wieder zusammen Kaffee trinken, du kannst mir aus deinem Leben erzählen. Du meldest dich ja sonst nie. Das letzte Mal haben wir an Weihnachten gesprochen.“
„Mama, das war vor vier Wochen.“
„Sag ich ja! Eine Ewigkeit! Soll ich uns was Schönes kochen? Worauf hättest du denn Appetit?“
„Ist mir egal, wirklich.“
„Na komm, soll ich uns Bandnudeln mit Gulasch machen. Das hast du doch früher so gern gegessen.“
„Von mir aus. Mama, ich muss
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