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Lied aus der Vergangenheit

Lied aus der Vergangenheit

Titel: Lied aus der Vergangenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Forna
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Mal.«
    Abass rennt hinter Kai her und stößt ihm mit dem Kopf ins Kreuz. Kai bekommt Abass mit dem freien Arm zu fassen und wirbelt ihn herum. Sie gehen weiter und kämpfen dabei spielerisch, Abass mit gesenktem Kopf wie ein kleiner Bock. Kai schnappt ihn immer wieder, schleudert ihn herum, ohne einmal aus dem Tritt zu kommen.
    Die Rufe von Vögeln, Schritte auf trockenem Laub, ein gelegentliches Insekt, sonst nichts. Schweiß rinnt Adrian den Rücken hinunter. Wie heiß es selbst im Schatten ist! Während er weitergeht, hört Adrian ein Brausen in der Luft, ein weißes Rauschen. Geradeaus vor ihnen kann er Licht sehen, vom Laub gedämpft, das in der Ferne zu reinem, hellem, schimmerndem Strahlen wird. Sie sind an einem Fluss. Er kann die Reflexe der Sonne auf Wasser sehen. Der Pfad unter seinen Füßen wird immer felsiger, und er sucht sich über die großen Steine und zwischen ihnen hindurch den Weg. Sie folgen der Biegung des Flusses. Der Lärm erfüllt Adrians Kopf. Kai dreht sich um und ruft ihm etwas zu; Adrian kann sehen, wie Kais Mund auf- und zugeht, aber er hört nichts. Er hält sich die Hände hinter die Ohren. Kai streckt den Finger aus, und Adrian stolpert auf ihn zu und schaut in die angedeutete Richtung.
    Er ist so hoch wie ein dreistöckiges Haus. Adrian findet die Weite ebenso beeindruckend wie die Tiefe, denn er ist an die fünfzig Meter breit. Stark, entschlossen, unaufhaltsam, wirkt das Wasser, wie eine gewaltige Herde von Tieren, die sich von einer Felsklippe in den schweigenden See stürzt.
    Sie picknicken auf den Felsen und gehen anschließend schwimmen. Der Fluss fließt schneller, als es aussieht, und sie ergeben sich der Strömung, lassen sich auf dem Rücken stromabwärts treiben und landen in einem Kehrwasserstrudel nahe dem Ufer. Sie lassen sich von der Sonne trocknen. Adrians Haut fühlt sich sauber an und riecht süß und leicht brackig. Abass spielt mit den leeren Bierflaschen in einem Tümpel zwischen den Felsen, füllt sie halb mit Wasser und schaut ihnen zu, wie sie auf und ab hüpfen. Zwei Jungen mit selbst gebastelten Angelruten tauchen auf und kommen näher, um Adrian anzustarren. Nach ein paar Minuten fordert Kai sie auf wegzugehen. Sie gehorchen, wortlos und ohne erkennbaren Unmut, und schließen sich Abass an seinem Felsentümpel an. Als Adrian später hinter einen Busch geht, um sich zu erleichtern, folgen sie ihm und entfernen sich auf seine beharrlichen Aufforderungen hin wieder, indem sie seine Worte nachplappern: Verziehteuch, verziehteuch .
    Adrian betrachtet Abass, der, in die winzige Unterwasserwelt des Felsentümpels vertieft, über seine Knie gebeugt, dahockt, verspürt ein Aufwallen von Zuneigung und sagt: »Der Junge ist ein Glückspilz.« Sofort fühlt er sich wie ein Idiot – die Absurdität, wen auch immer hier um sein Glück zu beneiden, aber irgendwie tut er es doch.
    Kai erwidert lediglich: »Ja, ich weiß. Ich war genauso.«
    »In welcher Hinsicht?«
    »Wir kamen früher öfters her. Na ja, wahrscheinlich war es insgesamt nicht mehr als ein halbes Dutzend Mal, aber im Leben eines Kindes ist das schließlich schon eine Tradition, stimmt’s? Sechs Jahre, weiter kann man kaum zurückdenken. Einmal waren wir nach der Regenzeit gekommen, du müsstest sehen, wie viel Wasser dann da runterkommt. Ich hab versucht, unter dem Wasserfall durchzuschwimmen. Ich dachte, ich würde eine geheime Höhle entdecken. Ich wäre fast ertrunken. Meine Mutter hat mich dermaßen verdroschen!«
    Adrian denkt an seine eigene Kindheit. Er hätte es niemals gewagt, so etwas zu tun. Nicht wegen der Gefahr, sondern aus Angst, seine Mutter zu enttäuschen. Er steht auf.
    »Komm schon!«, sagt er. Und springt ins Wasser.
    Es ist nach vier, als Kai mahnt: »Wir sollten uns auf den Weg machen. Es ist nicht ratsam, zu tief in die Dunkelheit hineinzufahren. Es gibt etliche Irre auf den Straßen.«
    Sie packen zusammen und gehen zum Wagen zurück. Kai fährt den Weg im Rückwärtsgang hinauf. Old Faithfuls Motor heult, die Räder drehen auf dem Schotter durch, aber Kai hält nicht an, bis er eine Stelle findet, an der er wenden kann. Sie fahren durch dieselben Ortschaften und über dieselben Brücken, diesmal mit der Sonne auf der anderen Straßenseite. Die Erde ist jetzt röter, das Licht weicher. Es erfüllt Adrian mit Wohlbehagen – jetzt, nach einer Woche Kranksein, einer weiteren Woche der Genesung, fühlt er sich bereit, wieder an die Arbeit zu gehen.
    Nach anderthalb Stunden Fahrt

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