Lied aus der Vergangenheit
mich besuchen. Es gibt ein paar Dinge, die wir noch machen können. Ich glaube, wir können richtige Fortschritte machen. Werden Sie das tun? Werden Sie kommen und mich besuchen?«
Es wäre besser gewesen, dieses Gespräch unter vier Augen zu führen, denkt er, als er merkt, dass er aus dem Konzept gerät. Wenn er nur zu ihr durchdringen könnte! Er wartet auf ihre Antwort, doch es kommt keine. Vielleicht erkennt sie ihn ja doch nicht.
Naasu wendet sich ihrer Mutter zu und sagt, wegen Adrian auf Englisch und laut, als sei Agnes schwerhörig: » Oya, ein Arzt. Er sagt, du warst bei ihm. Er möchte, dass du wieder zu ihm gehst.« Sie redet weiter, diesmal leiser und in einer anderen Sprache. Agnes antwortet. So geht es eine Weile hin und her. Adrian wartet, schaut von der einen zur anderen, lauscht konzentriert einem Gespräch, das er nicht versteht. Er kann den Mann der Tochter regungslos hinter sich spüren. Die Tochter sieht Adrian an und zuckt die Achseln. »Sie sagt, es geht ihr besser, sie braucht nicht zu Ihnen zu kommen.«
Wenn er ehrlich ist, hat er mit etwas in der Art rechnen können. Solche Dinge sind mit Scham behaftet. Zu Agnes sagt er: »Agnes, ich glaube wirklich, dass es gut wäre. Nur eine Sitzung.« Dann zur Tochter: »Wenn Sie Ihrer Mutter sagen könnten: nur eine Sitzung.« Wer weiß, wenn es von ihr kam …
Die junge Frau nickt schnell, übersetzt. Sie scheint aufrichtig helfen zu wollen. Agnes schüttelt den Kopf, schüttelt eindeutig den Kopf. Jetzt wird er nervös. Naasu dreht sich mit gerunzelter Stirn nach ihm um. »Ich habe ihr gesagt, was Sie mir gesagt haben. Sie sagt Nein, sie will nicht.«
»Wenn Sie ihr nur begreiflich machen könnten … Ich kann ihr helfen. Ein paar Dinge, über die wir gesprochen haben …« Er wendet sich zu Agnes, doch sie unterbricht ihn und sagt, ruhig und deutlich, auf Englisch: »Es geht mir jetzt besser. Die Probleme haben aufgehört. Danke, Herr Doktor.« Sie dreht sich um und geht, die Tochter an ihrer Seite, ins Haus zurück.
Adrian bleibt, völlig verloren, auf der Veranda stehen.
Agnes’ Schwiegersohn begleitet ihn zur Tankstelle zurück. Der Bursche ist jetzt freundlicher, entschuldigt sich wegen Agnes, stellt Adrian Fragen: ob er schon mal in der Stadt war, Fragen über England. Adrians Antworten kommen gedämpft und mechanisch. Er muss zu Kai und Abass zurück. Er denkt über den nächsten Schritt bei Agnes nach. Sie mag glauben, dass es ihr besser geht, aber das stimmt nicht, über kurz oder lang geht sie wieder auf Wanderschaft. Wer wusste schon, wie sich ihre Krankheit entwickeln mochte oder was ihr zustoßen konnte? Vielleicht konnte er in Salias Begleitung wiederkommen. Salia würde es schaffen, die Mauer zu überwinden.
Mittlerweile ist es richtig dunkel, und Adrian muss sich ganz darauf konzentrieren, wo er hintritt. Es gibt keine Straßenlaternen, der Boden ist uneben. Er merkt, dass sie einen anderen Weg zur Tankstelle nehmen, einen Weg, der quer durch die Straßen schneidet, die den Platz umgeben. Sein Begleiter hat aufgehört zu reden. Adrian kann dessen Schritte nicht mehr hören. Er bleibt stehen und dreht sich um.
Der erste Schlag wirft ihn nach vorn. Es folgt der Sekundenbruchteil an Verzögerung, bevor ihm bewusst wird, dass er getroffen worden ist. Der heißkalte Taumel. Schließlich der Schmerz, der wie Tinte in Wasser in seinem Körper wölkt. Dem Schlag auf den Hinterkopf folgt ein Tritt an das Steißbein, der ihm die Luft aus der Brust presst. Ein dritter Schlag trifft ihn an Nacken und Schultern. Etwas Hartes, Holz oder Metall. Adrians Knie knicken ein. Er stolpert. Sein Impuls ist zu fliehen. Er versucht es und scheitert, seine Beine versagen den Dienst. Er würde gern um Hilfe rufen, aber er hat keine Luft in den Lungen. Sein Gesicht schlägt auf dem Boden auf. Der Boden ist weich und kühl. Scharfe Tritte in die Seite. Bitte, keinen Schmerz mehr. Adrian versucht mit ganzer Willenskraft zu sprechen, irgendetwas zu sagen, aber er kann nur keuchen. Er fängt an wegzukriechen, ist sich noch im selben Moment der Würdelosigkeit seines Handelns bewusst. Es ist ihm egal. Er denkt an innere Verletzungen, seine Nieren, seine Leber. Vielleicht versucht wer auch immer, ihn zu töten. Wenn der Unbekannte nur sagen würde, was er will, er würde es ihm geben. Übelkeit steigt im Gefolge des Schmerzes auf. Sein Mund füllt sich mit Speichel. Er verspürt den Drang, sich zu übergeben. Noch immer auf allen vieren, würgt er trocken.
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