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Lied aus der Vergangenheit

Lied aus der Vergangenheit

Titel: Lied aus der Vergangenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Forna
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befeuchtet es mit Wasser aus der Flasche und reibt sich die Handflächen ab. Und obwohl rostfarbene Flecken auf dem weißen Stoff erscheinen, hat er das Gefühl, als arbeite er den Staub lediglich in tiefere Hautschichten ein. Es gibt Tage, an denen er sich ständig schmutzig fühlt, den Staub spürt, der, unter seinem Hemd gefangen, an seiner feuchten Haut haftet.
    Die Kantine ist, abgesehen von zwei Männern in Stationshelferuniformen, die über verstreute Lottoscheine und eine Zeitung gebeugt dasitzen, noch leer. Die Frau hinter der Theke häuft Reis auf seinen Teller, dreht sich dann zu den zwei Terrinen, die hinter ihr stehen, hebt den Deckel von der näher stehenden und löffelt Huhn und Sauce auf den Reis. Ungefähr zwei Wochen zuvor war Adrian aufgefallen, dass die Frau die einheimischen Angestellten in der Schlange aus der anderen Terrine bediente. Er hatte die Frau gefragt, was denn in der anderen Schüssel sei.
    »Huhn.«
    Ihre mangelnde Hilfsbereitschaft hatte seinen Trotz herausgefordert.
    »Ich möchte bitte davon haben.« Gehorsam hatte die Frau ihm von dem, wie es aussah, identischen Schmorhuhn aufgetan. An seinem Tisch aß Adrian einen Löffel. Das Essen war höllisch scharf. Froh, allein zu sein, hatte er sich ein Glas Wasser genommen, dann noch eins, und war, ohne aufgegessen zu haben, Mund und Lippen noch immer brennend, in sein Sprechzimmer zurückgekehrt.
    Seitdem nickt ihm die Frau hinter der Theke zu und lächelt manchmal auch. Sie wirkt nicht so, als verschaffe der Zwischenfall ihr eine besondere Genugtuung, er scheint eher ihren täglichen Begegnungen eine bescheidene Vertraulichkeit zu verleihen. An diesen Tag erinnert sich Adrian wegen des geschmorten Huhns, aber auch, weil es der Tag war, an dem der neue Patient nach ihm schickte.
    Dass der neue Patient ein Mann von einer gewissen Bedeutung war, bewies die Tatsache, dass er ein Privatzimmer hatte. Adrian kam jeden Tag auf dem Weg in sein Arbeitszimmer daran vorbei. Nie hatte er irgendwelche Besucher gesehen, lediglich einen Dienstboten, der manchmal einen zugedeckten Korb trug, manchmal ein geknotetes Bündel von schmutziger Bettwäsche, manchmal einen Stoß frisch gewaschener Kleidungsstücke. Ein anderes Mal hatte er einen Blick durch den Schlitz der nicht ganz geschlossenen Tür geworfen und den Diener gesehen, wie er mit einem Bastfächer die träge Luft aufwedelte, Fliegen verjagte und die Bettlaken zurechtzupfte, genau wie die Mütter auf der Kinderstation es taten.
    Am Tag, an dem Adrian mit brennenden Lippen zu seinem Arbeitszimmer zurückgekehrt war, hatte der Dienstbote vor seiner Tür gekauert.
    »Kann ich Ihnen helfen?« Adrian schloss die schwere Tür auf, und der Mann erhob sich und folgte ihm hinein. Einmal drinnen, händigte er Adrian ein gefaltetes Blatt Papier aus. Adrian öffnete das Blatt. Darauf standen nicht mehr als ein paar Zeilen, blasse Bleistiftstriche, die sich langsam über die Seite hinschnörkelten und von einer ältlichen Hand zeugten.
    Sehr geehrter Herr,
    ich möchte Sie um etwas Zeit allein mit Ihnen bitten. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie Babagaleh, dem Überbringer dieser Zeilen, ein Datum und eine Uhrzeit mitteilen würden, die für Sie genehm wären. Ich kann mich ganz nach Ihnen richten, auch wenn meine Zeit, aufgrund meines Zustands, etwas knapp bemessen ist.
    Hochachtungsvoll,
    Ihr Elias Cole
    *
    Aus der Nacht, ein Schrei. Adrian wacht auf, schwitzend und desorientiert. Der Ventilator dreht sich nicht, die Luft im Zimmer ist heiß. Er liegt und lauscht. Das Zirpen von Grillen, ein Lastwagen irgendwo in der Ferne, der Ruf eines Nachtvogels. Das Fenster über seinem Bett ist offen, und die Luft trägt den Geruch von Holzrauch herein, duftend, wie von brennender Zeder. Adrian fragt sich, ob der Schrei nicht möglicherweise in seinen Schlaf gehörte, aber dann hört er ihn wieder, eindeutig. Die Stimme einer Frau.
    Er greift unter dem Moskitonetz durch und schaltet die Nachttischlampe ein, lässt seinen Augen Zeit, sich an das Licht zu gewöhnen, nimmt sein T-Shirt vom Stuhl, streift es sich über und öffnet die Tür zum Hof, auf den seine Bungalowwohnung geht. Vor dem Tor des Krankenhauses spielt sich eine dramatische Szene ab. Aus der Dunkelheit taucht eine von zwei Sanitätern geschobene Rollbahre, auf der eine große knollige Gestalt liegt, im grünlichen Licht der Notbeleuchtung auf. Eine Schwester hält einen Tropf in die Höhe. Die Bahre rasselt in Richtung OP-Raum. Adrian tritt ein paar

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