Lied aus der Vergangenheit
Eiscreme. Die konnte man in den Supermärkten und im Kaufhaus kaufen. Aber Eis salons! Das war was ganz anderes.«
Nach Adrians Schätzung sind sie nicht weit von dem alten Kaufhaus entfernt, in dem er nach Agnes gesucht hat – was jetzt unendlich lange her zu sein scheint. Adrian muss dieses Restaurant passiert haben, ohne es zu bemerken. Als sie die Straße entlanggingen, schlüpfte Mamakay plötzlich durch eine blühende Hecke. Im ersten Moment hatte Adrian sie aus den Augen verloren, dann war er ihr gefolgt.
Hier ist alles, was er über sie weiß. Sie ist Klarinettistin. Oder, wie sie es formulieren würde, sie spielt Klarinette. Denn es ist kein Job. Ihr Job ist, Studenten Nachhilfestunden zu geben. Das Haus teilt sie sich mit zwei Bandmitgliedern. Sie hat ein paar Zimmer nach hinten raus, mit Blick auf einen flechtenstreifigen betonierten Hof und den Taubenschlag des Nachbarn. Mamakay hatte sich ans eine Ende eines langen Rattansofas gesetzt und trank, die Beine untergeschlagen, ihren Kaffee, während Adrian an ein Geländer gelehnt stand. Die Laute der Tauben erinnerten ihn an zu Hause. Die Frau im roten Kopfputz, die Mamakay mit einem Trio von Küssen begrüßt hat, ist eine alte Freundin, Mary, Eigentümerin des Mary Rose. Von Zeit zu Zeit hilft Mamakay hier als Kellnerin aus.
Das ist alles, was er weiß. Außerdem, dass sie keine Uhr trägt, weil alle Uhren bei ihr stehen bleiben, weswegen sie oft zu früh oder zu spät dran ist. Er würde gern alles über sie wissen, aber sie scheint ihre Freundschaft an einem willkürlichen Punkt begonnen zu haben, unter Umgehung aller Einführungen und Präambeln. Das bewirkt, dass er sich willkommen fühlt. Das Lokal bewirkt, dass er sich willkommen fühlt. Die Stammgäste sitzen an ihren Tischen, trinken Bier, essen die gleichen Teller Reis wie Adrian und Mamakay. Niemand starrt ihn an, weil er mit ihr zusammensitzt. Also hält er es wie sie und stellt keine Fragen. Er wartet darauf, dass ihre Schichten von dem Wind bloßgelegt werden, auf dem ihr Gespräch dahintreibt.
»Es gibt einen Typen, der mit der Geschichte herumzieht, seine Tochter sei von einer Schlange gebissen worden. Er sagt, das kleine Mädchen liegt im Krankenhaus und er braucht fünfzigtausend für das Serum, andernfalls wird sie sterben.«
Zwei Tage vorher war Adrian, als er auf ein Bier gehalten hatte, am Strand mit einer fast identischen Geschichte konfrontiert worden. Das Kind sei angefahren worden, sagte der Mann. Die Ärzte könnten jederzeit anfangen zu operieren, aber er habe kein Geld, um Medikamente zu kaufen. Adrian hatte die Hälfte des Betrags aus seiner Tasche gefischt, und der erst eine Woche zuvor an Land gegangene amerikanische Seemann, mit dem Adrian ein paar Worte gewechselt hatte, hatte den Rest beigesteuert. Anschließend hatte der Matrose den Kopf geschüttelt, während sie dem Mann hinterher schauten. Mist!
»Mary sagt, dass ihm allein in dieser Woche drei Gäste Geld gegeben haben.«
In ihrer Ecke hält Mary vier Finger hoch, ohne im Geldzählen innezuhalten.
Adrian schweigt.
»Ich finde das genial«, sagt Mamakay. »Er verdient das Geld.«
Mary schüttelt den Kopf. »Diesem Dieb Geld geben? Sie sollen es lieber mir geben!«
»Er ist kein Dieb. Er ist ein Trickbetrüger, und zwar ein guter. Er versucht lediglich, über die Runden zu kommen.«
»Das versuchen wir alle«, antwortet Mary, leckt sich den Finger und zählt weiter Geldscheine. »Wie auch immer, ich hab gehört, dass jemand wegen ihm die Polizei gerufen hat.«
»Ich war in der Nähe der Halbinselbrücke. Ich hab gesehen, wie ein Dieb von der Menge gefasst wurde«, sagt Mamakay. »Sein Hemd war zerrissen. Ich glaube, sie haben ihn schon ein bisschen in die Mangel genommen. Er versuchte wegzugehen. Wegzu gehen, nicht laufen. Er wusste nämlich, wenn er losgelaufen wäre, wären die Leute ausgerastet. Sie hätten sich wie Tiere an seine Fersen geheftet. Hätten ihn getötet. Er überquerte die Straße vor dem Taxi, in dem ich saß. Jemand verpasste ihm einen Stoß in den Rücken. Es ging los. Der Ausdruck in seinen Augen. Er wusste, dass er wahrscheinlich sterben würde.«
»Was ist dann passiert?«
»Ein Blauhelm war in der Nähe. Ich hätte ja nicht an seiner Stelle sein mögen. Obwohl, er war wenigstens bewaffnet. Anschließend hatte keiner im Taxi das geringste Mitleid mit dem Dieb. Selbst wenn die ihn gelyncht hätten, wäre es denen egal gewesen.«
»Die eigenen Leute bestehlen!«, sagt Mary
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