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Lied aus der Vergangenheit

Lied aus der Vergangenheit

Titel: Lied aus der Vergangenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Forna
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gut.«
    »Er ist ein toller Junge.«
    »Ist er, ist er.« Kai schüttelt den Kopf. Er führt seine Flasche an die Lippen.
    Es ist noch früh, und es sind keine weiteren Gäste da, nur ein levantinisch aussehender Mann an der Bar, möglicherweise der Eigentümer, und ein jüngerer Mann, der Bälle auf dem Snookertisch klacken lässt. Draußen steigt allmählich die Flut. Die Krebse sind unterwegs, weit oben auf dem trockenen Sand alte Männer, die die heraufziehende See beobachten. Weiter unten veranstalten die Strandläufer ihren Quickstepp mit der Brandung, acht Schritte vor, acht Schritte zurück. Ein junger braun-weißer Hund taucht auf, flitzt über den Sand und lässt empörte Krebse durch die Gegend kugeln. Zwischen dem Wasser und dem Hund eingeschlossen, heben die Strandläufer kurz ab und sammeln sich ein Dutzend Meter weiter wieder. Adrian lächelt und schaut zu Kai hinüber, aber Kai starrt auf einen Fleck auf dem Fußboden und trommelt mit den Fingern auf dem Tisch. Ein Knie zuckt auf und ab.
    »Ist alles in Ordnung?«
    »Klar doch, ja. Was sollte nicht in Ordnung sein?«
    »Du siehst einfach etwas rastlos aus, das ist alles.«
    »Ah, ich verstehe.« Kai hört auf zu trommeln und richtet sich auf, dann steht er auf und dreht den Stuhl richtig herum. Er setzt sich wieder hin. »Nein, es ist alles okay. Schlaf nur in letzter Zeit nicht so gut, du weißt ja, wie das ist.«
    Adrian erinnert sich an die erste Nacht, in der Kai in seiner Wohnung geschlafen hat, wie er ihn auf der Bettkante sitzend vorgefunden hat, die Augen aufgerissen, in irgendeinem dunklen Traum verschollen. Seitdem ist Adrian mehrmals nachts – von einer Unruhe im Haus, leisen Schritten, Gegenständen, die bewegt wurden, dem Geräusch von Seufzern – aufgeweckt worden.
    »Tust du irgendwas dagegen?«
    »Du meinst, ob ich irgendwas nehme? Nein. Ich hab’s ein-, zweimal probiert. Die Pillen wirken schon seit Langem nicht mehr. Nein, Mann. Das ist eben so. Da muss man einfach durch.« Sein Blick gleitet wieder von Adrian ab.
    »Es gibt auch andere Möglichkeiten, Entspannungstechniken. Es könnte sich lohnen …«
    Diesmal unterbricht Kai ihn. »Danke, Mann, aber mir geht’s gut. Ehrlich. Eine Nacht durchschlafen, und ich bin wieder der Alte.«
    »Ich meinte nur …«
    »Ja, schon kapiert. Mir geht’s gut. Ich entspanne mich gerade, siehst du?« Er streckt die Beine aus, trinkt einen langen Schluck aus seiner Flasche und stellt sie mit demonstrativ bedachter Bewegung auf den Tisch zurück, verschätzt sich aber bei der Entfernung, sodass die Flasche mit einem harten Klack aufsetzt.
    Sie verfallen wieder in Schweigen. Adrian ist an Kais Schweigen gewöhnt, an seine Gleichgültigkeit gegenüber allen Regeln der Höflichkeit, mit denen er selbst groß geworden ist. Irgendwo flößt ihm Kais Art sogar einen gewissen Respekt ein, gibt ihm das Gefühl, im Vergleich zu ihm zu beflissen, ja diensteifrig zu sein. Trotzdem hat sich die Stimmung verändert.
    »Noch eins?« Kai hat seine Flasche geleert.
    »Klar«, erwidert Adrian.
    Kai gibt dem Kellner ein Zeichen.
    Nachdem der Mann gegangen ist, fängt Kai wieder an, mit den Fingern auf dem Tisch zu trommeln, mürrisch auf die Holzfläche zu starren. Hinter ihm erscheinen zwei frühe Gäste. Identisch gekleidet in graue Hose, weißes Hemd und Schlips, das Haar kurz geschoren, tragen sie beide einen Aktenkoffer in der Hand und ein Namensschild an der rechten Brustseite. Adrian beobachtet sie, während sie bestellen. Der Kellner kehrt mit zwei Flaschen Coca-Cola zurück, und Adrian beglückwünscht sich stillschweigend zu seiner Vermutung. Mormonen.
    Allmählich schlendern ein paar weitere Gäste herein, unter ihnen sieht Adrian Candy und Elle. Sie sind sich seit dem Nachmittag in Ileanas Haus nicht mehr über den Weg gelaufen. Adrian denkt, dass Candy ihn gesehen haben könnte, da sie in seine Richtung schaut, aber weil sie keine Spur eines Wiedererkennens zeigt, ist er sich nicht sicher. Die zwei Frauen sind in Begleitung eines kurz gewachsenen, vierschrötigen Afrikaners mit trotteligen Gesichtszügen, der einen Arm um je eine von ihnen gelegt hat. Adrian betrachtet Candys hagere Hüften und breite Schultern, Elles schmalen Mund und kleine Zähne. Er denkt an Mamakay, an ihre Hüften in dem alten sonnengeblümten Kleid, das sie zum Wasserholen trägt, die Umrisse ihrer Lippen, ihre Nase, deren sanft einwärts gebogene Linie, die mandelförmigen Nasenlöcher. Die Hand des Mannes gleitet die Biegung

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