Lied aus der Vergangenheit
von Elles Rücken hinunter, auf die leichte Erhebung oberhalb der senkrechten Fläche ihrer Gesäßbacken zu.
Die beiden zu sehen erinnert Adrian an das Mädchen im violetten Top vom Abend in der Strandbar; sie war ihm aufgefallen, während er auf Kai gewartet hatte. Das Mädchen hatte sich mit dem ganzen Körper gegen einen Weißen gelehnt. Adrian hatte sie betrachtet und sich kurz ausgemalt, wie es wohl wäre, mit ihr zu schlafen; sie hatte sich umgedreht und ihn dabei ertappt, wie er sie anstarrte. Mit dieser Erinnerung kommt seine Träumerei zum Stillstand.
Was denkt Mamakay wohl von ihm?
Er hat keine Ahnung.
31
Vergangenen Freitag um drei war Kai an der US -Botschaft angelangt und hatte dem Marinesoldaten in der Glaskabine am Haupteingang sein Anliegen mitgeteilt. Der Mann zeigte auf eine lange Schlange von Männern, die vor einer Klappe in der Außenmauer anstanden. »Da geht’s zur Green-Card-Lotterie.«
Kai schüttelte den Kopf. »Ich bin Arzt, Chirurg«, sagte er.
»Einen Augenblick, Sir.« Der Marinesoldat beugte sich vor und drückte auf den Summer, um ihm die Eingangsschleuse zu öffnen. »Büro am Ende des Flurs. Einen schönen Tag noch.«
Als er wieder ging, passierte Kai die Reihe von Wartenden. Die Schlange schien nicht kürzer geworden zu sein, obwohl er eine halbe Stunde in der Botschaft gewesen war. Die Männer waren jung, die jüngsten vielleicht siebzehn, achtzehn. Mager oder muskulös, in Jeans und T-Shirts.
Von der Botschaft aus war er die Straße entlang zum Kreisverkehr geschlendert. Er hatte erst ein paar Minuten dagestanden, als Adrian ihn sichtete.
Das war am Freitag. Heute ist Sonntag. Ein Aprilsonntag. Der erste April auch noch. Er weiß das, weil er gerade das Datum in die rechte obere Ecke des Aerogramms geschrieben hat, aber auch weil er Abass sehen kann, der, Unfug im Sinn, durch die Gegend schleicht. Momentan späht der Junge um die Ecke, Kais Position auskundschaftend und sich unsichtbar wähnend.
Das Problem mit Abass ist seine Unfähigkeit, ein Pokerface aufzusetzen. Kai hat heute schon einer verblüfften Tante in ihr Zimmer geholfen, nachdem sie vergeblich versucht hatte, einen mit Vaseline eingeschmierten Türknauf herumzudrehen. Abass war der alten Dame seit dem Frühstück auf den Fersen gewesen.
Kai beugt sich wieder über den Brief. In seinem letzten Brief hatte Tejani die neue Freundin erwähnt, wie hieß die noch mal? Kai greift nach dem zerknüllten blauen Blatt, streicht es wieder glatt und liest es noch einmal. Tejani möchte, dass Kai zu ihm nach Amerika kommt. Zwei Jahre nach ihrem Abschied sieht es tatsächlich so aus, als käme Kai endlich. Tejani ist sein bester Freund, der Mensch, der ihm, Nenebah ausgenommen, die längste Zeit in seinem Leben am nächsten gestanden hat. Sie waren ein Trio gewesen. Immer zu dritt. Tejani war der dritte Liebende, oder war Nenebah die Dritte gewesen? Kai sah sich selbst als den Mittelpunkt: Tejanis bester Freund, Nenebahs Liebhaber. Häufiger allerdings hatte er Nenebah als den Mittelpunkt angesehen. Schließlich hatten sie beide sie geliebt. Tejani reiste ab. Ein Jahr später waren Nenebah und Kai kein Paar mehr. Hätte es sich vielleicht anders entwickelt, wenn Tejani geblieben wäre? Kai weiß es nicht.
Helena. Es klingt so, als könnte Tejani sie sogar heiraten. »Wir«, sagt er in seinem Brief. »Wir« kaufen uns eine Wohnung. Kai hat ihm immer noch nicht zum bestandenen Examen gratuliert. Er schreibt ein paar Zeilen, bemüht – erfolglos bemüht –, Tejanis munteren Ton zu treffen.
Wie sehr Nenebah Kai beneidet hatte! Er wusste es, weil sie es ihm selbst gesagt hatte. Sie hatte ihn um die Sauberkeit seiner Arbeit beneidet, die moralische Reinheit der vor ihm liegenden Aufgabe.
Sie hatten im Bett gelegen, Löffelstellung, er steckte noch in ihr, kostete die Schlüpfrigkeit von Samen und Schweiß aus. Einmal hatte sie ihm beschrieben, wie es sich anfühlte, wenn er sich zu früh aus ihrem Körper zurückzog, ihn im Stich ließ . Verlust, sagte sie. Es fühlte sich wie ein Verlust an.
Ein paar Jahre nach dieser Nacht hatte sie das Studium geschmissen. Was hatte er falsch gemacht? Er hatte es nie richtig begriffen. Er musste wegen einer OP früh raus. Sie war mürrisch und böse auf ihn gewesen, und irgendwo tief innen hatte er gewusst, warum. Weil er jeden Morgen, wenn er aufwachte, ohne jeden Zweifel wusste, was er zu tun hatte, wegen dieser Gewissheit, die sie nicht mehr hatte. Genau zur selben Zeit, da er
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