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Lied aus der Vergangenheit

Lied aus der Vergangenheit

Titel: Lied aus der Vergangenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Forna
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Schienbeine gerade bekommen: jeden Knochen jeweils an drei Stellen gebrochen und wieder gerichtet. Das war der leichtere Teil. Als Nächstes werden sie sich die Füße vornehmen. Wenn Foday schon als Baby behandelt worden wäre, wäre es ein Kinderspiel gewesen; jetzt, im Erwachsenenalter, war es ein komplizierter Eingriff. Und das umso mehr, als sie die Achillessehne verlängern mussten.
    Auf dem Nachttisch eine Karaffe Wasser und Fodays wenige Habseligkeiten, darunter das Schulheft, das er als Tagebuch benutzt und in dem er den Fortgang seiner Behandlung und seine Gespräche mit Kai penibel festhält. Die Handschrift auf dem Deckel ist ebenso angestrengt und verkrampft wie Fodays Gang. Foday, denkt Kai, ist im Leben nichts in den Schoß gefallen. Aber Jesus, was für ein Kämpfer!
    In diesem Moment erscheint Foday in seinem Rollstuhl, er schiebt sich selbst, ein Pfleger schlendert hinter ihm her. Kai steht auf und hebt die rechte Hand zum Gruß, und Foday erwidert die Geste, ein paar Augenblicke frei rollend. Einen Meter vor dem Bett vollführt er ein gekonntes Parkmanöver.
    »Sieht gut aus«, sagt Kai.
    »Ja, danke, Herr Doktor.« Fodays Stimme ist heute kräftig. Der Pfleger kommt an seine Seite, bereit, ihn ins Bett zu heben, doch Foday schüttelt den Kopf. Kai verschränkt die Arme und schaut Foday zu. Die Augen des jungen Mannes werden schmal vor Konzentration. Er atmet tief ein und stemmt sich hoch. Einen Augenblick lang schwebt er in der Luft, wie ein Turner auf dem Seitpferd, dann lässt er sich auf dem Bett nieder, richtet sich auf und wuchtet sein eingegipstes Bein vor sich auf die Matratze. Als er fertig ist, wendet er sich zu Kai.
    »Toll«, sagt Kai.
    Foday grinst.
    »Wie läuft die Physiotherapie?« Kai beugt sich vor und drückt Fodays anderen, von den Wochen im Gipsverband noch mageren Wadenmuskel.
    »Die Frau, Miss Salinas, sie sagt, dass sie mit mir zufrieden ist.«
    »Gut. Aber nicht übertreiben, okay? Wir möchten wirklich nicht, dass Sie rennen, bevor Sie gehen können, das ist mein Ernst.«
    Foday lacht. »Nein, Doktor Kai. Keine Angst. Erst gehen, dann laufen. Und danach vielleicht Rad schlagen. Geben Sie mir bitte mein Heft?«
    Kai reicht ihm das Schreibheft. Foday schlägt es auf, nimmt ein Foto heraus und gibt es Kai. Das Bild zeigt eine junge Frau von vielleicht neunzehn, die, vermutlich in ihren besten Sachen und Schuhen, sittsam auf einem Hocker vor einer Hütte sitzt. Sie lächelt nur für die Kamera, denn ansonsten sieht sie verlegen aus, als sei sie es nicht gewohnt, fotografiert zu werden.
    »Ah«, sagt Kai. »Lassen Sie mich raten. Ihre Verlobte?« Er betrachtet das Foto noch ein paar Sekunden lang und gibt es dann Foday zurück.
    »Nein. Sie ist nicht meine Verlobte. Aber ich wäre froh, wenn sie’s wäre.«
    »Ihre Freundin?«
    »Sie heißt Zainab. Wir kommen aus demselben Ort. Na ja, und ich glaube, sie mag mich.«
    »Sieht für mich ganz danach aus.«
    Foday hält sich das Foto dicht vor die Augen, legt es dann hin und streicht es mit dem Handballen glatt, bevor er es, behutsam, wieder zwischen die Seiten des Heftes legt. Er reicht Kai das Heft und richtet sich im Bett weiter auf.
    »Ich hätte da eine Bitte, Herr Doktor.«
    »Klar«, sagt Kai, nachdem er das Heft wieder an seinen Platz gelegt hat. »Nur raus damit, mein Freund.«
    »Nach meinen Operationen gehe ich vielleicht zu Zainabs Eltern und bringe Kolanüsse. So stelle ich mir das vor.«
    »Okay.«
    »Ich rede vorher natürlich mit Zainab. Aber wo sie mir doch dieses Foto von sich geschickt hat, glaube ich, dass sie mich in Betracht ziehen wird.«
    »Ich habe keinen Zweifel, dass Zainab sich freuen wird, wenn Sie ihretwegen zu ihren Eltern gehen.«
    »Danke, Herr Doktor. Und sehen Sie, was ich Sie gern fragen wollte: Ob Sie mich vielleicht als mein älterer Bruder begleiten würden?«
    Für einen Moment schweigt Kai, dann sagt er: »Es wäre mir eine Ehre, als Ihr älterer Bruder mitzukommen. Aber haben Sie denn keine anderen Brüder oder Onkel, die Sie eher fragen sollten?«
    Foday schüttelt den Kopf. »Meine älteren Brüder sind alle in den Bergwerken. Außerdem, wenn Zainabs Eltern Sie sehen, dann nehmen sie mich bestimmt an.«
    Kai lacht. Er streckt den Arm aus und klopft Foday auf die Schulter. »Sicher, mein Freund. Das kann ich gern machen. Aber Ihnen ist doch wohl klar, dass in dem Augenblick, wo sie mich sehen, das Brautgeschenk auf das Doppelte ansteigt, oder?«
    »Ich weiß.« Foday zuckt die Achseln.

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