Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lied aus der Vergangenheit

Lied aus der Vergangenheit

Titel: Lied aus der Vergangenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Forna
Vom Netzwerk:
seinen Glauben gefunden hatte, war ihr der ihre abhandengekommen. Keiner von beiden hatte damit gerechnet, dass so etwas passieren würde.
    Nach der Liebe hatte sie sich von ihm gelöst, ihm ihren Körper weggenommen. Plötzlich nicht mehr in ihr zu sein war wie ein Schock gewesen. Ein Verlassensein. Und später, mitten in der Nacht, streckte er die Hand nach ihr aus und fand sie nicht, sah sie am offenen Fenster stehen. Er war aufgestanden und hatte sie wieder ins Bett gezogen. Während er, lange nach Mitternacht, an ihr lag, spürte er ihren schnellen Herzschlag. Keiner von beiden sprach ein Wort. Keiner von beiden schlief.
    Er nimmt wieder die Feder in die Hand und schreibt weiter, gratuliert Tejani zur bestandenen Prüfung. In seinem Brief erinnert Tejani Kai daran, wie sie einmal gezwungen gewesen waren, beim Licht einer Taschenlampe zu lernen, erinnert ihn an den Tag, an dem die Studenten eine Petition, für die sie Unterschriften gesammelt hatten, beim Rektorat abgeben wollten. Die Univerwaltung wollte nichts davon wissen, und die Studenten waren wütend geworden. Wenn er jetzt darüber nachdenkt, kann er über ihre moralische Entrüstung nur staunen. Wie zum Teufel waren die Studenten auch nur auf die Idee gekommen, sie hätten ein Recht dazu? Der Rektor hatte mit eiskalter Wut reagiert. Er war in seinem Büro geblieben, während sich die Sicherheitsbeamten auf dem Campus um die Angelegenheit kümmerten. Einer von ihnen hatte die Petition entgegengenommen, und einen albernen Augenblick lang war ein Jubelgeschrei ausgebrochen: Die Studenten dachten, sie hätten einen Sieg errungen.
    Stattdessen hatten sie den Behörden einen Ansatzpunkt geliefert. Eine Liste von Dissidenten.
    Nenebah war kurz darauf von der Uni abgegangen. Das Leben auf dem Campus, sagte sie, sei für sie unerträglich geworden. Kai fand, dass sie zu schnell aufgegeben hatte. Aber er hatte auch den Zorn in ihr gespürt, den Wunsch, jemandem für das, was geschehen war, wehzutun.
    Hey, Mann, schreibt Kai, gehört zum Lieferumfang des neuen Hauses außer der Couch auch ein Pool? Richte dich auf einen neuen Hausgast ein. Als er mit dem Brief fertig ist, klebt er die Ränder zu und steckt ihn ein. Er hat vor, zum Postamt zu gehen, erinnert sich dann aber, dass Sonntag ist. Die Hitze hat noch nicht eingesetzt. Kai kann die Sprechgesänge der evangelikalen Kirchen hören, die Ermahnungen ihrer Pastoren, die wilden Beteuerungen der Gemeinden. Seine Cousine war in die Kirche gegangen. Er hat ihr Old Faithful geliehen.
    »Abass!«, ruft er.
    Der Junge erscheint verdächtig schnell.
    »Lust, zum Strand zu gehen?«
    »Ja!«
    »Dann beeil dich. Hol deine Badehose. Wie wär’s mit einem Curry im Ocean Club?«
    Abass flitzt ins Haus. Kai folgt ihm, um seine eigene Badehose, ein Taschenbuch und seine Sonnenbrille zu holen. Er findet die Brille im Wohnzimmer, auf dem Couchtisch. Als Abass zurückkommt, legt er ihm den Arm um die Schultern.
    »Fertig?«
    Abass nickt.
    Draußen auf der Straße sind nach der Kühle des Hofes die Schatten hart, die Umrisse scharf, die Farben grell unter der Sonne. Kai greift nach seiner Sonnenbrille und setzt sie auf. Unvermittelt verschwimmt ihm alles vor Augen, alles Grelle verschwindet, die Umrisse des Hauses werden undeutlich, und die Schatten verlaufen ineinander. Er weiß nicht mehr, wo er hintritt, und bleibt stehen. Er nimmt die Brille ab.
    »Äußerst witzig, Abass«, sagt er.
    Der Junge schaukelt vor und zurück, hält sich den Bauch vor Lachen.
    Kai tut so, als wolle er ihm eine langen. Das Kind duckt sich. Sie gehen die Straße hinunter in Richtung Hauptstraße. Im Fond des Taxis pellt Kai die Klebefolie von der Innenseite seiner Brillengläser ab.
    Viel später, nachdem sie zusammen geschwommen sind, schaut er Abass dabei zu, wie er allein in den Wellen spielt, unermüdlich durch die Brecher kracht. Und er spürt, wie die Liebe zu dem Jungen in seiner Brust aufsteigt, gegen die Rippen drückt, seine Lungen und sein Herz zerquetscht, als ersticke sie ihn.
    Am Montagmorgen begibt sich Kai auf Fodays Station. Als er dort ankommt, ist Foday gerade auf der Toilette, also setzt er sich auf die Bettkante und wartet. Die Oberschwester erscheint und versucht, allerlei Aufhebens um ihn zu machen, aber Kai winkt ab. Über dem Bett hängt das Polaroidbild von Foday, das mit ihm von Bett zu Bett gezogen ist. Fodays Talisman – der ihm zeigen soll, wie weit er schon gekommen ist. Zwei Operationen, und bislang haben sie zwei

Weitere Kostenlose Bücher