Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lied aus der Vergangenheit

Lied aus der Vergangenheit

Titel: Lied aus der Vergangenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Forna
Vom Netzwerk:
Später, als ich älter war und alle Mädchen anfingen, über Jungen zu reden, fragte ich mich, ob meine Mutter vielleicht eine Affäre mit dem Mann im Red Rooster gehabt hatte. Nach einiger Überlegung befand ich das für eine hinlänglich melodramatische Erklärung.« Sie lacht. »Aber mit der Zeit dachte ich auch daran nicht mehr. Gott, hätte ich Lust auf eine Zigarette! Hast du eine?«
    Adrian, der nicht raucht und nicht wusste, dass sie es tut, sagt: »Nein. Sollen wir welche kaufen?«
    »Lass nur. Gehen wir.«
    Auf dem Rückweg zieht Mamakay die Sandalen aus und lässt sich die Füße von der See bespülen. »Es vergingen ein paar Jahre. Ich muss um die fünfzehn gewesen sein. Ich kramte einmal im Nähkasten meiner Mutter. Ich fand einen alten Zeitungsausschnitt. Ich erinnere mich daran, weil er mit einer Zickzackschere ausgeschnitten worden war und deswegen gezähnte Kanten hatte. Da war ein Foto und ein Artikel. Ich erkannte den Mann auf dem Bild wieder. Es war der Mann, den wir an dem Tag im Red Rooster getroffen hatten. Da stand, er hätte versucht, die Brücke zur Halbinsel in die Luft zu sprengen.«
    Adrian bleibt stehen. »Jesus!«
    »Ganz genau.«
    »Hast du deine Mutter darauf angesprochen?«
    »Hab ich. Er war ein alter Freund von früher, sagte sie. Behauptete, sich an den Tag im Red Rooster nicht mehr zu erinnern. Sie sagte, sie hätte ihn seit Jahren nicht mehr gesehen. Aber ich wusste, dass ich mich nicht täuschte. Als ich das nächste Mal an ihren Nähkasten ging, war der Zeitungsausschnitt nicht mehr da.«
    »Wie hieß er? Der Mann? Weißt du das noch?«
    »Er hieß Conteh. Kekura Conteh.«
    Ein paar Augenblicke lang bleibt Adrian stumm. Sie nähern sich jetzt wieder dem Ocean Club. Er sagt: »Kekura war ein Aktivist. Könnte deine Mutter in irgendetwas verwickelt gewesen sein?«
    Mamakay lacht leise. »Nein. Kann ich mir jedenfalls nicht vorstellen. Ich würde annehmen, dass der Anschlag auf die Brücke länger zurücklag – bevor wir ihn im Restaurant trafen. Der Zeitungsausschnitt war zwar nicht datiert, aber er sah richtig alt aus. Das Papier war schon vergilbt und rollte sich leicht an den Rändern. Vielleicht waren sie wirklich nur Freunde. Entscheidend ist, dass sie mir, als wir vom Red Rooster zurückkamen, sagte, ich sollte meinem Vater nichts davon sagen. Ich dachte, oder zumindest bildete ich mir ein, das liege daran, dass sie annahm, mein Vater würde eifersüchtig werden. Aber das war ganz und gar nicht der Grund.«
    »Sondern?«
    Sie sieht Adrian an. »Sie wollte es geheim halten, weil sie ihm nicht vertraute. Begreifst du nicht? Meine Mutter vertraute meinem Vater nicht.«
    Sie sind wieder im Ocean Club. Mamakay setzt sich an einen Tisch, stützt das Kinn in die Hand und bedeckt den Mund mit den Fingern. Das Lokal ist leer. Der Eigentümer bringt zwei Flaschen Bier an den Tisch und bedeutet ihnen mit einer Handbewegung, sich ruhig Zeit zu lassen.
    Adrian sagt: »Bist du dir sicher, dass du das richtig interpretierst? Wie du selbst gesagt hast, können Kinder Dinge unterschiedlich deuten. Es könnte auch eine andere Erklärung geben.«
    »Okay. Es passierte noch etwas«, sagt sie. »Jahre später, einige Monate nach dem Tod meiner Mutter. Es hatte Proteste auf dem Campus gegeben. Die Studenten waren zunehmend unzufriedener mit den Behörden. Es passierte überall, aber der Campus war das Zentrum des Geschehens. Es gab eine Zeit lang ständig Stromausfälle, wir versuchten alle, uns auf die Examen vorzubereiten. Eine Gruppe von Studenten setzte eine Petition auf, die den Rücktritt des Rektors verlangte. Ich unterzeichnete sie wie alle anderen auch. An dem Tag, als sie zum Rektorat marschierten und sie dort abgaben, saß ich gerade in einer Klausur, sonst wäre ich auch dabei gewesen.«
    Sie sieht Adrian nicht an. Ihr Blick ruht, auf unendlich gestellt, irgendwo auf dem Tisch, zwischen den Bierdeckeln und den Zigarettenbrandstellen.
    »Nach den Examen feierten die Studenten. Jede Nacht gab es auf dem Campus Partys, es war das Ende der Vorlesungszeit. Alle meine Freunde und Freundinnen wohnten in Wohnheimen, nur ich nicht. In dem Trimester blieb ich zu Hause, um meinem Vater Gesellschaft zu leisten. Am letzten Abend rief mein Vater mich zu sich und erklärte mir, ich dürfe abends nicht auf den Campus gehen. Er sagte nicht, warum. Stattdessen sagte er alles Mögliche andere. Ich sei zu oft unterwegs. Ich triebe mich mit den falschen Leuten herum. Man würde über mich reden. Ich

Weitere Kostenlose Bücher