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Lied aus der Vergangenheit

Lied aus der Vergangenheit

Titel: Lied aus der Vergangenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Forna
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sind. Heute stellt er sich vor, dass es eigentlich ganz unterhaltsam sein könnte. Er fühlt sich nach dem erfolgreichen Vormittag voller Tatendrang. Ein paar Minuten lang sitzt er da und beobachtet die Silberkugeln, die über den Fußboden rollen, sanft aneinanderklacken. Es gibt einiges, was er tun könnte: OP -Berichte schreiben, Korrespondenz. Doch Kai ist nicht in Stimmung für Papierkram. Er beschließt, eine Runde durch das Krankenhaus zu machen. Schauen, ob es in der Notaufnahme etwas Neues gibt. Vielleicht könnte er Foday einen kurzen Besuch abstatten, nur auf einen Plausch.
    Draußen strahlt die Sonne zwischen versilberten schwarzen Wolken. Die Luft ist heiß und vibriert von der elektrischen Spannung ferner Gewitter. Unter dem Wellblechunterstand, der als Warteraum fungiert, sehen ihm ein Dutzend Augenpaare entgegen. Kai spürt, wie die kollektive gespannte Erwartung mit jedem seiner Schritte zunimmt, dann wieder verpufft, als er an den Wartenden vorübergeht, ohne einen Namen aufzurufen oder auf einen Patienten zu zeigen, damit er ihm folgt. Er geht schon die Rampe zum Gebäude hinauf, als ein Mann ihm hinterhergelaufen kommt.
    »Ja, Sir, Doktor!«
    Kai dreht sich um.
    »Sie sind Dr. Mansaray, ja?«
    Kai nickt. »Wie kann ich Ihnen helfen?«
    Der Mann, ein schlanker wortgewandter Fula, sagt: »Ich habe gehört, dass Sie heute Morgen meine Frau behandelt haben. Sie hatte sich die Hand verletzt.«
    »Ja«, sagt Kai. »Sie dürfte jetzt auf der Station sein. Es ist alles gut gegangen. Überhaupt« – er wirft einen kurzen Blick auf seine Uhr, dann auf die Tür der Notaufnahme – »können wir jetzt hingehen und schauen, wie es ihr geht. Kommen Sie mit.«
    Gemeinsam gehen sie die überdachten Fußwege entlang. Kai erklärt, wie die Operation ausgegangen ist, so gut, wie man eben hoffen konnte. Der Ehemann, der keinerlei eigene Erwartungen gehabt hatte, nickt und bedankt sich noch einmal. Als er sich an die Bemerkung auf dem Einlieferungsblatt der Frau erinnert, fragt Kai: »Was ist eigentlich passiert?«
    »Es war meine Schuld, Herr Doktor. Meine Frau war sehr böse auf ihre Nichte. Sie wollte ihr eine Ohrfeige geben. Aber ich habe sie zurückgehalten. Da hat die Nichte meiner Frau die Gelegenheit ausgenutzt, um ein paar schlimme Dinge zu sagen. Meine Frau hat versucht, sich von mir loszureißen, und ich habe sie losgelassen. Das war mein Fehler. Sie ist mit zu viel Schwung losgestürzt und mit der Hand durch die Fensterscheibe gestoßen.«
    Das passt. Es wäre schwierig, sich selbst eine so schwere Verletzung bewusst zuzufügen. Und das wäre Kais erster Selbstmordversuch überhaupt gewesen. Der Krieg motivierte die Menschen dazu, am Leben bleiben zu wollen. Die Armut ebenfalls. Das Noch-am-Leben-Sein war einfach zu hart erkämpft, um leichtfertig aufgegeben zu werden. Vielleicht stellt sich der schwedische Arzt vor, er könnte versuchen, alldem ein Ende zu machen, wenn er hier lebte. Also nicht nötig, sie an Adrian zu überweisen, was andererseits wieder schade ist.
    Aber Kai muss mit Adrian noch reden. Sobald er mit der Frau und ihrem Mann fertig ist, wird er zur Wohnung gehen und diesmal, sollte Adrian wieder nicht da sein, einen Zettel hinterlassen. Ein Regentropfen berührt seinen Arm. Er beschleunigt seinen Schritt.
    Es vergehen mehrere Stunden, bevor Kai zu Adrians Wohnung geht. Der Himmel spiegelt sich in den Pfützen im Hof. Die wartenden Patienten sind heimgegangen, um an einem anderen Tag wiederzukommen. Im Gebäude ist es still, selbst auf der Kinderstation, wo gerade Mittagsschlaf gehalten wird. Kai geht tief in Gedanken vorbei. Er könnte die Gelegenheit nutzen und zu Mrs Mara gehen, aber das eilt schließlich nicht so. Wenn Adrian da ist, wird Kai vielleicht vorschlagen, dass sie irgendwo ein Bier trinken gehen. Es ist lang her, dass er zuletzt relaxt hat. Er würde gern mit jemandem über seine Pläne reden, und es ist sonst niemand da. Weder Seligmann noch Mrs Mara. Oder seine Cousine. Er steht kurz davor, einen Schritt zu unternehmen, der sein Leben verändern wird, etwas, was er noch nie getan hat. Zwar hat sich sein Leben in den vergangenen Jahren wahrhaft einschneidend verändert, doch völlig ohne sein Zutun. Er hatte sich sein Leben anders vorgestellt, sie beide hatten das, er und Tejani. Der Krieg hatte alle Hoffnungen vereitelt, das Licht ausgesperrt. Alles hatte aufgehört. Die Ausländer flohen, die Botschaften wurden geschlossen, jahrelang landeten oder starteten auf dem

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