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Lied aus der Vergangenheit

Lied aus der Vergangenheit

Titel: Lied aus der Vergangenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Forna
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musste: Wie war das möglich?«
    Adrian massiert sich mit den Fingerspitzen die Stirn und seufzt. Das hat er nicht gewollt, eine Diskussion. Mamakay fährt fort. »Manchmal kommt mir dieses Land wie ein Garten vor. Nur dass es ein Garten ist, in dem jemand alle Blumen ausgerissen und alle Bäume gefällt hat und den alle Vögel und Insekten und alles Schöne verlassen haben. Stattdessen haben sich Unkraut und Giftpflanzen breitgemacht.«
    Adrian schweigt für einen Moment, ebenso Mamakay. Dann sagt er müde: »Ich bin Psychologe. Es steht mir nicht zu, moralische Urteile zu fällen. Ich heile kranke Seelen, oder zumindest versuche ich es. Was ich nicht tue, ist, sie beurteilen.« Seine Worte sollen sie beschwichtigen, seinen Rückzug signalisieren.
    »Wer war es noch mal, der sagte: ›Die Geschichte wird mich freundlich beurteilen, denn ich beabsichtige, sie selbst zu schreiben‹?«
    »Churchill«, sagt Adrian. »Winston Churchill.«
    »Er benutzt dich, um seine eigene Version der Geschichte zu schreiben, merkst du das denn nicht? Und das passiert zurzeit überall im Land. Die Menschen radieren das aus, was geschehen ist, manipulieren die Wahrheit, dichten sich eine eigene Version der Ereignisse zusammen, um die Lücken auszufüllen. Eine Version der Wahrheit, die sie in ein günstiges Licht stellt, die auslöscht, was sie getan oder unterlassen haben zu tun, und dafür sorgt, dass keiner von ihnen zur Rechenschaft gezogen werden wird. Mein Vater hat dabei dich als Gehilfen. Du bist lediglich ein Spiegel, den er sich vorhalten kann, um eine bestimmte Version seiner selbst und der Ereignisse zu reflektieren. Dieselbe Lüge, die er sich und allen anderen erzählt. Und alle tun das. Egal, was du sagst, du wirst von hier weggehen, du wirst deine Artikel veröffentlichen und Vorträge halten, und jedes Mal wirst du damit deren Version der Ereignisse ein wenig realer machen, bis sie irgendwann unwiderruflich sein wird.«
    Und in Mamakays Worten hört Adrian das Echo seiner eigenen Gedanken von vor ein paar Stunden, nur anders formuliert. Die wortlose Lüge.
    Nach Mitternacht. Adrian hält Mamakay in den Armen. Sie haben sich nicht ein, sondern zwei Mal geliebt. Er ist dankbar. Ihr Zorn ist endlich verflogen. Es ist eigentlich zu heiß, um einen anderen Körper so nah an sich zu haben, trotzdem mag er sie nicht loslassen. Erst als es unerträglich wird, befreit sie sich, lässt sich auf den Rücken rollen und sagt: »Da ist was, was ich dir sagen muss.« Sie flüstert nie, nicht einmal im Dunkeln. »Ich bekomme ein Kind.«

45
    »Hat bei Byron funktioniert«, sagt Seligmann. »Auf nichts stehen Frauen mehr als auf ein Hinkebein. Spricht ihre mütterlichen Instinkte an. Was halten Sie davon, wenn wir nur eins reparieren? Und das andere so lassen? Er wird uns dafür dankbar sein. Eine Frau schneller finden, als er laufen kann.«
    Durch die Aussicht auf Urlaub ist Seligmann ganz aufgekratzt. Einen ganzen Monat zu Hause, vor dessen Ende er, wie Kai weiß, längst so unerträglich wie ein gelangweiltes Kind geworden sein wird. Außerdem ist Seligmanns Vertrag mit dem Krankenhaus gerade verlängert worden. Seligmann weiß noch nicht den Grund dafür, aber Kai schon.
    »Was meinen Sie, Jestina?« Seligmann wackelt mit den Augenbrauen und zwinkert der neuen Schwester über den Mundschutz hinweg zu.
    Jestina kichert in den ihren hinein und starrt zu Boden.
    »Ein Klumpfuß ist der Königsweg zu Ruhm und Reichtum«, fährt Seligmann fort. »Kaiser Claudius, Dudley Moore.«
    »Goebbels«, sagt Kai.
    Foday liegt zwischen ihnen auf dem OP -Tisch, mit einem grünen Laken bedeckt, aus dem lediglich der linke Unterschenkel und Fuß herausragen. Seligmann biegt den Fuß in die eine und die andere Richtung, zieht probeweise an jeder einzelnen Zehe. Er dreht sich um und betrachtet die Röntgenbilder am Leuchtkasten, dann beugt er sich hinunter und studiert Fodays Fuß.
    »Das kann ein bisschen dauern. Jetzt reparieren wir das Knie, wie besprochen. Und bringen die große Sehne in Ordnung. Das dürfte kein Problem sein. Dann gehen wir in den Fuß und lockern dort ein paar Bänder. Sollten wir dann noch ein bisschen mehr rumspielen müssen, können wir das immer noch machen, wenn wir uns den anderen vornehmen. Bis dahin sind’s sowieso noch ein paar Monate.« Er kitzelt Fodays Fußsohle. »Nicht zum Lachen? Gut. Träumt von Engeln. Houston, wir haben – angefangen ! « Und er zieht sein Skalpell durch Fodays Haut.
    Mrs Mara hat die

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