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Lied aus der Vergangenheit

Lied aus der Vergangenheit

Titel: Lied aus der Vergangenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Forna
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Neuigkeit, dass Kai gehen wird, besser aufgenommen, als er zu hoffen gewagt hatte. Sie hat Kai alles Gute für seine weitere Laufbahn gewünscht und gesagt, sie habe nie erwartet – lediglich gehofft –, ihn zu behalten, und hat zuletzt versprochen, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um ihm bei seinem Einreiseantrag zu helfen. So schlimm war das.
    Ihre kurzfristige Lösung bestand darin, Seligmann darum zu bitten, weitere sechs Monate zu bleiben, wodurch die unmittelbare Unterbelegungskatastrophe abgewendet war. Aber Seligmann ist weit über siebzig, schon längst in Rente, arbeitet nur noch aus Liebe zur orthopädischen Chirurgie. Ewig kann er nicht bleiben.
    Zweieinhalb Stunden später ist die Arbeit an Knie und Achillessehne abgeschlossen. Die eigentliche Arbeit würde mit der Physiotherapie beginnen, wovon Foday Monate bevorstehen. Seligmann pfeift »Love Me Tender« von Elvis, während er sich vorbeugt und das Innere von Fodays Fuß inspiziert. »Hallo«, sagt er. »Was meinen Sie, sollen wir versuchen, diese zwei Sehnen umzustöpseln?«
    Kai nickt. Der Tag ist nicht mehr weit, an dem er Seligmann wird sagen müssen, dass er zu gehen beabsichtigt. Seligmann, der die Arbeit an diesem Krankenhaus fast ebenso sehr liebt wie seine Frau.
    Am späten Nachmittag klettert Kai den abschüssigen Garten zum alten Haus hinauf. Er muss seine Eltern anrufen, hören, was sie damit machen wollen, es vermieten oder dichtmachen. Bislang ist nichts gestohlen worden, wenn man von den Plünderungen während der ersten Invasion absieht, als seine Eltern noch da wohnten. Diesmal fällt ihm ein zerbrochenes Fenster an der Rückseite des Hauses auf. Und es sieht so aus, als sei jemand über die Gartenmauer geklettert – höchstwahrscheinlich um Brennholz zu sammeln und Obst von den Bäumen zu pflücken. Der Garten ist völlig verwildert. Das Gras steht so hoch, dass die Terrassen gar nicht mehr zu erkennen sind. Es reicht bis zur halben Höhe der Kassienstämme. Kai kämpft sich bis zur Veranda durch, stemmt sich hoch und schwingt sich über das niedrige Geländer. Da er direkt vom Krankenhaus kommt, hat er keinen Schlüssel dabei. Er geht langsam um das Haus herum. An der Ecke bleibt er stehen. Auf dem Marmorboden sind Brandflecken zu sehen. Eine leere Kondensmilchdose rollt in einer Ecke hin und her. Die schwere metallene Küchentür steht einen Spaltbreit offen. Lautlos geht er weiter und tritt in die Küche. Der Herd ist noch da. Der Kühlschrank ist weg. Die Spüle ist voll von alten Zeitungen und Plastiktüten. Kai dreht einen Wasserhahn auf, nichts. Ohne etwas zu erwarten, probiert er es mit einem Lichtschalter und ist verblüfft, als die Glühbirne aufflackert.
    Im ganzen Haus riecht es nach Schimmel und Staub. Die Tür des Elternschlafzimmers ist verschwunden. Drinnen liegt eine Matratze auf dem Fußboden, mit einem großen Brandfleck in der Mitte, wie eine schwarze Blüte. Kai zieht die Schubladen der Kommode auf. Sie sind größtenteils leer; in einer findet er ein altes Arztrezept und in einer anderen einen einzelnen goldenen Ohrring in Form einer Schwalbe. Er erkennt ihn als Eigentum seiner Mutter wieder und steckt ihn ein. Er schaut ins Bad und dann in jedes einzelne Zimmer.
    Nach dem Wegzug seiner Eltern ist Kai mehrere Monate lang im leeren Haus geblieben, allein mit einer Polstergarnitur und einem Fernseher, den einzigen Dingen, die er nicht weggegeben hatte. Er geht am Zimmer seiner Schwester vorbei. Am Ende des Korridors das Zimmer, in dem er den größten Teil seiner Kindheit und ersten Jugend verbracht hat. Er hat dort eine Encyclopaedia Britannica zurückgelassen, von seinem Vater über Postversand gekauft und von Kai vereinnahmt, woraufhin sie vom Wohn- in sein Schlafzimmer umgezogen war. Welche Naivität, denkt er, anzunehmen, gut zwanzig Bände könnten die »Summe des menschlichen Wissens« enthalten.
    Als Kai mit seiner Schwester telefonierte, einigten sie sich darauf, den Eltern erst dann von seiner Ausreise zu erzählen, wenn die Sache wirklich spruchreif war. Sie klang eher ernst als erfreut, fragte ihn, ob er sich seiner Sache sicher sei. Ja, sagte Kai. Ja, er war sich sicher. Fast hellseherisch fragte sie ihn dann, ob er Neuigkeiten von Nenebah habe. Nein, log Kai.
    Nenebah. Sie hatte völlig unverändert ausgesehen, und einen Augenblick lang – den Augenblick, bevor sie ihn entdeckte – wirkte sie auf ihn glücklich. Dann hatte sie sich umgedreht und ihn gesehen, wie er, schutzlos, ausgesetzt,

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