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Lied aus der Vergangenheit

Lied aus der Vergangenheit

Titel: Lied aus der Vergangenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Forna
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spricht Englisch, hat also eine Ahnung von der Bedeutung des Wortes, denn andernfalls hätten sie zweifellos in den Ruf nach Prügeln eingestimmt. Bei der Sachlage sind weder Kai noch seine Cousine geneigt, die Tanten aufzuklären, und so einigt man sich auf einen Kompromiss.
    Kai klopft an die Schlafzimmertür und ruft leise Abass’ Namen. Dann dreht er den Knauf herum, aber die Tür gibt nicht nach. Abass hat von innen den Riegel vorgeschoben.
    »Abass«, ruft er. »Komm schon, mach die Tür auf.«
    Schweigen.
    »Lässt du mich rein? Deine Mutter möchte, dass ich mit dir rede.«
    Das Geräusch von Schritten. Abass öffnet die Tür. Er sieht klein und ernst aus, bekümmert, aber dabei nicht untrotzig. Kai schlüpft ins Zimmer, und Abass macht die Tür hinter ihm zu und schiebt den Riegel vor. Sie setzen sich nebeneinander auf das Bett.
    »Das war schlimm, was du zu deiner Mutter gesagt hast.«
    Abass zuckt die Achseln.
    »Und? War es das etwa nicht?«
    Abass gibt keine Antwort, und Kai spürt, dass er keine Ahnung von der Bedeutung des Wortes hat, wegen dem er jetzt in solchen Schwierigkeiten steckt.
    »Wenigstens wirst du wissen, warum du das getan hast. Deine Mutter hat dich gebeten, ihr mit den Kirchenstühlen zu helfen, und stattdessen bist du verschwunden. Das ist doch wohl auch nicht gut, oder?«
    Abass zuckt wieder die Achseln. Kai stößt einen leicht entnervten Seufzer aus. »Was ist los, mein Freund?«
    »Sie tut nichts anderes als in die Kirche gehen.«
    »Wer, deine Mutter? Deine Mutter ist Christin: Das ist doch eine gute Sache, oder?«
    Wieder zuckt Abass die Achseln.
    Kai sagt: »Du möchtest nicht, dass sie in die Kirche geht?«
    »Ich mag’s nicht, dass die alle herkommen. Die tun nichts wie beten und beten, und dann nehmen sie uns unser ganzes Geld weg. Früher kamen sie ein Mal pro Woche. Jetzt sind sie fast jeden Tag da. Und ich mag sie nicht.«
    Kai kann es ihm absolut nachfühlen, aber es ginge nicht an, das zu sagen. Also fragt er lieber: »Was würdest du dir stattdessen wünschen?«d
    Abass schüttelt den Kopf und schiebt seine Hände zwischen die Knie.
    »Na?«
    Der Junge nuschelt irgendetwas, so leise, dass Kai es kaum hört. »Ich möchte, dass sie mit mir spielt.«
    »Ich verstehe.« Er legt den Arm um Abass. »Na ja, allmählich wirst du ein bisschen zu groß zum Spielen, meinst du nicht?«
    »Ich meine, bei mir bleibt …« Seine Stimme verebbt.
    »Du möchtest mehr Zeit mit deiner Mutter verbringen, ist es das?«
    Abass nickt.
    »Ich verstehe.« Kai blickt über den Kopf des Jungen hinweg, zur gegenüberliegenden Seite des Zimmers. Dort, auf der Fensterbank aufgereiht, stehen die Origamitiere, die er im Lauf der Jahre für Abass gemacht hat, blassrot bestaubt. Er sagt: »Ich glaube, es gibt deiner Mama Trost, zu beten. Und ich glaube, wir sollten das respektieren, egal, wie wir selbst dazu stehen. Wir müssen höflich und geduldig sein – selbst dem Prediger gegenüber.« Er stupst Abass leicht an, und der Junge kichert, wird dann wieder ernst.
    »Wozu braucht sie Trost?«
    Da ist es wieder. Bald wird kein Weg mehr darum herumführen. Abass glaubt, dass sein Vater eines natürlichen und friedlichen Todes starb, weil man es ihm so erzählt hat. Kai muss mit seiner Cousine reden, sie dazu bringen, dass sie ihm zuhört. Einstweilen sagt er: »Darüber reden wir ein anderes Mal. Erst mal entschuldigst du dich bei deiner Mutter, und dann können du und ich etwas zusammen unternehmen.«
    Abass dreht sich herum, schaut ihn an und sagt: »Aber du gehst auch weg. Du ziehst nach Amerika.«
    »Also, das ist noch eine ganze Weile hin«, erwidert Kai. Es war ihm nicht bewusst gewesen, wie viel Abass sich selbst zusammengereimt hatte.
    Und erst mehrere Stunden später, als die Kirchengemeinde längst aufgebrochen ist und Abass tief und fest schläft, geht Kai auf, was Abass genau gesagt hat.
    »Gehst auch weg.« Ohne es auch nur zu wissen. Abass hat gesagt: »Gehst auch weg.«

46
    Ileana vollzieht in ihrem Zimmer ihre ganz persönliche Teezeremonie: versilberte Kanne, Liptonbeutel, Dosenmilch. Adrian findet, dass die Kanne sie wie eine Romni aussehen lässt.
    »Welcher Monat?«, fragt sie.
    »Vierter«, antwortet Adrian. Eine Woche ist vergangen, eine Woche, seit Mamakay ihm eröffnet hat, dass sie ein Kind von ihm bekommt. Er spürt die Verkrampfung des Magens, mit der sein Körper reagiert. Seine Emotionen spielen verrückt.
    Ileana kommt herüber und stellt den Tee vor ihn auf den

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