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Lied aus der Vergangenheit

Lied aus der Vergangenheit

Titel: Lied aus der Vergangenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Forna
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ziemlich sicher.
    Adrian hatte während seines Studiums an einem Seminar über die Spieltheorie teilgenommen. Unter den gegebenen Umständen liefert das Gefangenendilemma ein bemerkenswert taugliches Denkmodell. Aber wirklich interessant daran ist die Tatsache, dass sich – obwohl es vordergründig so scheint, als seien Eigennutz und Verrat die erfolgversprechendste Strategie – Altruismus als die vernünftigste Entscheidung erweist, sobald das Spiel über viele Runden von vielen Menschen oder sogar von Computern gespielt wird.
    Adrian erinnert sich an den Hörsaal, die Neonbeleuchtung und den Betonfußboden. Sein Professor, wie hieß er noch mal? Quinnell. Womit bewiesen war, sagte Quinnell zu ihnen und beugte sich über das Pult, dass in jeder Gesellschaft Moral und Eigennutz ein und dasselbe sind.
    Es kommt eine Zeit, da das Wissen ins Bewusstsein dringt.
    Wenn sie sich lieben, hat er das Gefühl, sich nicht tief genug in sie vergraben zu können. Er presst sein Gesicht gegen ihren Hals und schmeckt Haut, Salz und Schweiß. Ein Bein drückt gegen seine Wange. Hände halten seine Arme umklammert. Sein Kinn passt genau in die Kuhle über ihrem Schlüsselbein. Er greift nach oben und findet ihre Wade, ihren Knöchel. Ihre Hand schiebt sich zwischen ihre Körper und umfasst seine Eier. Er, der aufgehört hatte zu atmen, haucht seine Seele aus.
    Nachher spielt sie mit Teilen von ihm. Leckt eine Brustwarze. Wickelt sich ein Haar um einen Zeigefinger. Inspiziert einen Insektenstich und zwickt ihn einmal prüfend. Laust ihn, scherzt er. Einmal hat sie ihm sogar die Kniekehle gekratzt. Als er später darüber nachdachte, schüttelte er den Kopf und hätte beschwören können, dass er nichts davon gesagt hatte, dass es ihn dort juckte.
    In diesen müßigen, für ihn alles andere als belanglosen Momenten hört die körperliche Trennung zwischen ihnen beiden auf zu existieren.
    Und das ist der Moment, da das Wissen ins Bewusstsein dringt. Er liegt bäuchlings quer auf ihrem Bett, festgehalten von ihren Beinen, die quer auf der Rückseite seiner Oberschenkel liegen. Draußen hat der Nachtregen angefangen, wuchtige Tropfen, die aus dem Himmel purzeln und jedes andere Geräusch übertönen. Als sie aufsteht, um ein Glas Wasser zu holen, fühlt er sich vorübergehend beraubt, und er weiß, dass er nie wieder ohne sie sein will, und sagt das auch. Doch sie steht mit dem Rücken zu ihm und hört wegen des Regens und des laut herabrauschenden Wassers nichts und gibt deswegen keine Antwort.
    Sie dreht sich um. »Was ist?«
    Er erkennt seinen Fehler, kämpft sich aus dem Grauen heraus, das der Gedanke an eine mögliche Zurückweisung ausgelöst hat, und wiederholt seine Worte. »Ich möchte, dass du mit mir kommst, wenn ich wegfahre.«
    Sie setzt sich und legt eine Hand auf seinen Rücken. Sie schweigt, und das ist ihm unerträglich, er beginnt wieder in Richtung Angst abzurutschen. »Das will ich nicht«, sagt sie.
    Er senkt die Augen.
    »Das hier ist meine Heimat. Hier möchte ich leben. Ich möchte unsere Kinder in diesem Land großziehen.« Mit unüberhörbarem Nachdruck gesagt.
    Erleichterung übermannt ihn. Seine Atmung, das heftige Hämmern seines Herzens, und er bemüht sich mit aller Kraft, beides unter Kontrolle zu bringen. Er zieht sie an sich. Denn jetzt will er über alles Übrige nicht nachdenken. Nichts ist einfach, nur dieses Eine, dieses Gefühl, das er für sie empfindet.
    Kinder, hat sie gesagt. Unsere Kinder . Den Rest hat er schon vergessen.
    Draußen hämmert der Regen herab, betäubt alle Sinne. Dann kommt der Donner. Adrian verschließt sich vor allem, was nicht die Empfindung ihres Körpers ist.
    Denn jetzt kann alles andere warten.

49
    Bestandsaufnahme seiner Garderobe: T-Shirts in verschiedenen Stadien der Abnutzung: dreizehn. Vorzeigbar: fünf. Jeans: drei. Gute Hemden: zwei. Kai streift – zum ersten Mal seit seiner Schulabschlussparty – eins davon über und bekommt es kaum zugeknöpft. Er legt es auf den Kleiderhaufen neben der Tür.
    Auf dem Weg zum British Council macht er Zwischenstopp am Government Wharf, wo Ballen von Altkleidern von Schiffen gelöscht werden. Bei einem Händler wählt er zwei fast neue Hemden aus. Außerdem eine Hose, zerknittert, aber brauchbar. Er zieht sich gleich auf der Straße sein T-Shirt über den Kopf und schlüpft in eines der Hemden. Die Hose legt er sich gefaltet über den Arm, dann bezahlt er den Verkäufer und marschiert den Hügel hinauf zum Council-Gebäude.

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