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Lied aus der Vergangenheit

Lied aus der Vergangenheit

Titel: Lied aus der Vergangenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Forna
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wurde gnadenlos durchgeführt und brachte das erwünschte Ergebnis. Adecalis Aufgabe, seine spezielle Aufgabe, war es, Familien in ihren Häusern bei lebendigem Leib zu verbrennen.
    »Wollen wir anfangen? Möchten Sie mir eins dieser Erlebnisse schildern?«
    Adecali schweigt. Er scheint keine Worte zu finden. Das kommt häufig vor. Ohne Adrians Ermutigung scheinen die Männer völlig handlungsunfähig zu sein. Vielleicht war es auf dem Schlachtfeld auch so. Adecalis Geist wurde genauso gebrochen, wie er seinerseits den Willen der Dörfler systematisch brach. Jetzt, ohne die Gang, die Drogen und den Alkohol, den Rausch der Gewalt, den letztendlichen Triumph des Überlebthabens, schleicht sich die Verzweiflung heran und überwältigt ihn.
    Adecali reibt sich mit der Handfläche über die Stirn.
    Adrian sagt: »Vor einiger Zeit hat man mich zur Station gerufen. Sie waren ganz außer sich. Erinnern Sie sich, warum?«
    Adecali nickt.
    »Was war passiert?«
    Wieder Schweigen, kürzer diesmal. Als Adecali anfängt zu sprechen, sind seine Worte von flachen, hechelnden Atemzügen auseinandergerissen. »Die haben Fleisch reingebracht.«
    »Wer hat das getan?«
    »Die auf meiner Station.«
    »Und warum hat Sie das so aufgeregt?«
    »Da ist mir davon schlecht geworden.«
    »Weiter. Was haben Sie sonst empfunden?«
    »Ich hatte Angst.« Er verstummt. Seine Augen sind jetzt offen, starren auf den Fußboden. »Ich hab Geräusche in den Ohren gehört. Ich hab Bilder gesehen.«
    »Was waren das für Bilder? Erzählen Sie mir, was Sie genau gesehen haben, von Anfang an.«
    »Ich hab ein Strohdach brennen sehen, das Dach von einem Haus. Der Rauch ist in meiner Nase und meinem Mund. Ich höre Leute brüllen und schreien. Da ist ein Haufen Lärm. Gesang. Die Leute, die sich zum Zuschauen versammelt haben, wir zwingen sie, zu kommen und sich anzusehen, was wir tun, und zu singen. Das war meine Aufgabe. Daran erinnere ich mich. Ein Willkommenslied. Sene-o . Ich spüre Getrommel in den Ohren. Wir lassen Palmwein herumgehen. Ich bin der Dirigent, ich habe den Taktstock. Ich dirigiere sie. Eine Frau weigert sich zu singen. Sie macht mich sehr wütend. Sie hat ein Baby auf dem Rücken. Ich sag zu mir, es ist Zeit, der Frau einen Denkzettel zu verpassen. Was werden die anderen von mir denken, wenn sie nicht singt?« Sein Bein hat wieder angefangen zu zucken. Schweißtropfen spritzen aus seiner Stirn. Adrian nimmt einen ranzigen Geruch wahr, der sich im Zimmer ausbreitet.
    »Erzählen Sie weiter.«
    »Ich muss der Frau einen Denkzettel verpassen. Weil sie nicht singen will. Ich nehme ihr das Baby weg und werfe es aufs Dach. Und dann singt die Frau, sie singt. Ich zwing sie zu singen.« Jetzt wird seine Rede undeutlicher, er schaukelt auf dem Stuhl vor und zurück. »Aber jetzt verfolgt sie mich. Sie ist in meinen Träumen. Sie erscheint sogar, wenn ich wach bin.«
    »Was bedeutet es für Sie, sie zu sehen?«
    »Ihr Geist sieht mich und verfolgt mich, weil ich den Tod ihres Kindes verursacht habe.«
    Adrian lehnt sich vor und berührt Adecali an der Schulter. »Okay, hören Sie hier auf.«
    Adecali blinzelt.
    Adrian setzt sich ihm gegenüber hin.
    »Möchten Sie ein Glas Wasser?« Adrian füllt ein Glas aus der Karaffe, die vor ihm auf dem Tisch steht, und schiebt es Adecali zu. Er trinkt geräuschvoll.
    »Was Sie erleben«, sagt Adrian, »nennt man Flashbacks. Ein Flashback ist die Erinnerung an ein schlimmes Erlebnis, aber manchmal sind diese Erinnerungen so intensiv, dass es sich so anfühlt, als würde es wirklich noch einmal passieren, als wäre man wieder an dem bestimmten Ort. Manchmal vergisst man, wo man in Wirklichkeit ist. An dem Tag zum Beispiel, wo ich auf die Station gekommen bin, um Ihnen zu helfen, da haben Sie mich anfangs nicht erkannt, Sie hatten vergessen, wo Sie wirklich waren. Könnte das stimmen?«
    Adecali nickt. Er hält das Glas umklammert, stützt es auf sein Knie.
    »Sie können das Glas jetzt auf den Tisch stellen. Ich möchte Ihnen jetzt ein paar Methoden beibringen, wie Sie mit diesen Flashbacks umgehen können, wenn sie mal wieder kommen, okay? Wir werden diese Erinnerung Stück für Stück neu abspielen, bis Sie sich an sie gewöhnt haben und sie Ihnen keine so große Angst mehr macht. Sie können lernen, sie zu steuern, so als hätten wir sie auf Band aufgezeichnet, und Sie ließen sie auf dem Videorekorder laufen, und Sie hätten die Fernsteuerung in der Hand.«
    Adecali sieht ihn mit größter Konzentration an,

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