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Lied aus der Vergangenheit

Lied aus der Vergangenheit

Titel: Lied aus der Vergangenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Forna
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durch die Straßen hallten –, empfand Kai plötzlich tiefe Scham. Er kehrte zu seiner Arbeit zurück. Und hat seitdem nicht aufgehört zu arbeiten.
    Jetzt konnte er nicht aufhören, an sie zu denken.
    Aber was war mit Adrian? Kai hätte sich vielleicht gesagt, dass die Beziehung zu Adrian ohne Bedeutung war, wenn er nicht gewusst hätte, dass bei Nenebah nichts ohne Bedeutung war. Egal, was sie tat, sie erfüllte es mit Ernst. Während für Kai eine einzige Sache zählte, und das war die Medizin. Und Nenebah. Zwei Dinge zählten, und sonst nichts.
    Sie setzt sich auf ihrem Stuhl um, und diese Bewegung bringt ihn in die Gegenwart zurück. Er ist kurz davor, zu ihr zu gehen, doch er zögert noch und bleibt dort zwischen den Regalen stehen, wartet, unbewusst der Tatsache gewahr, dass er an einem Wendepunkt seines Lebens steht. Mit dem ersten Schritt, den er tut, wird er eine Abfolge von Ereignissen in Gang setzen, die sich auf die Zukunft auswirken werden. Die Auswirkungen sind unabsehbar. Es war ein Fehler, sie gehen zu lassen. Jetzt will er zu ihr zurück. Es ist noch nicht zu spät.
    Jemand kommt den Gang entlang, und Kai tritt beiseite, um ihn durchzulassen. Dadurch verändert sich sein Blickwinkel auf Nenebah. Zum ersten Mal kann er jetzt in das Buch hineinsehen, das vor ihr aufgeschlagen auf dem Schreibtisch liegt. Der Mann, den er vorbeigelassen hat, ist ein Stück weiter im Gang stehen geblieben. Kai wartet darauf, dass er weggeht. Er hält den Kopf schief, um zu erkennen, was Nenebah da liest. Aus dieser Entfernung kann er gerade eben eine Zeichnung ausmachen, eine weibliche Gestalt, eine Schwangere. Kai richtet den Blick auf die Bücher, die auf dem Boden gestapelt sind. Auf dem Umschlag des obersten Buches ist ein Kind in den Armen seiner Mutter zu sehen. Etwas für Mary vielleicht? Mary hatte wahrscheinlich keine Zeit, selbst in die Bibliothek zu gehen, sie könnte Nenebah gebeten haben, irgendetwas für sie nachzuschlagen. Schon während er sich das sagt, weiß Kai, dass es nicht stimmt. Nenebah reckt und biegt ihre Wirbelsäule, bevor sie sich wieder in ihre ursprüngliche Haltung entspannt. Noch aufschlussreicher als die sichtbare Wölbung ihres Unterleibs ist die Weise, wie sie sie mit ihrer rechten Hand berührt, eine langsame kreisende Liebkosung, bevor sie umblättert.
    Die Bibliothek, die Regale, die Neonlampen, alles ist verschwunden. Kai hört nichts, er steht in einem ohrenbetäubenden Tunnel aus Wind. Er streckt die Hand aus und hält sich an einem Regal fest. Im Geist stürzt er zurück, fort von dem Ort, an dem er erst vor Augenblicken im Geiste war, dem Ort, von dem aus er die Möglichkeit einer Zukunft mit Nenebah gesehen hatte. Der Mann im Regalgang sieht ihn an. Kai konzentriert sich darauf, seine Gedanken einen nach dem anderen abzustellen. Sich wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Er hat sich fast vollkommen in der Gewalt; es ist eine reine Frage des Willens.
    Und als er sich wieder im Griff hat, macht er kehrt und geht zur Ausleihe zurück, wo er das Buch für Foday entgegennimmt.
    Eine Stunde lang ist Kai ziellos durch die Straßen gegangen, das großformatige Buch über die chinesischen Modellarmeen unter dem Arm. Jetzt versteht er, was der Grund für Marys Blick war. Es ging nicht darum, dass Nenebah einen anderen Mann hatte, denn in Marys Augen ließen sich solche Dinge immer rückgängig machen. Aber ein Kind, ein Kind war etwas anderes.
    Er hält ein leeres Taxi an. Er ist jetzt nicht in der Stimmung, ins Krankenhaus zurückzukehren. Er weist den Fahrer an, zum Westende der Stadt zu fahren, zu den Strandbars, verspricht ihm genügend Geld, damit er keine weiteren Fahrgäste aufnehmen muss.
    Am Tresen einer Bar, in der er noch nie gewesen ist, bestellt Kai ein Bier und sitzt dann mit dem Buch auf dem Schoß da und starrt hinaus zum Horizont. Nach ein paar Versuchen hat der Barkeeper seine Bemühungen, ein Geplauder in Gang zu bringen, aufgegeben. Jetzt sitzt der Mann am entgegengesetzten Ende des Tresens und starrt, so missmutig wie Kai, auf einen unbestimmten Punkt.
    Eine Weiße kommt den Strand entlanggeschlendert, enge schwarze Shorts und Turnschuhe, ein Pferdeschwanz, der hinten aus ihrer Baseballkappe herausschaut, die Arme wie beim Joggen angewinkelt, Kinn nach vorne und Hinterteil nach hinten gereckt. Kai schaut ihr nach, wie sie weiter den Strand entlangmarschiert, während der Pferdeschwanz wie ein Metronom hin und her wippt. Ungefähr hundert Meter weiter macht sie auf

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