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Lied aus der Vergangenheit

Lied aus der Vergangenheit

Titel: Lied aus der Vergangenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Forna
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an der Wange. Einen Kuss. Eine Umarmung. Ich ging weiter, während der Regen die Krempe meines Hutes füllte und dann überlief und mir den Nacken hinunterrann. Mittlerweile war es richtig dunkel, und ich hatte einen langen Heimweg vor mir.
    Ich bin ein Mensch, der im Allgemeinen an sich selbst genug hat; trotzdem war mir nicht danach, den Abend allein zu Haus zu verbringen. Ich kam unvermutet an einem Etablissement vorbei, das ich schon ein-, zweimal besucht hatte, und ging hinein. Ich setzte mich an die Bar. Meine Hände zitterten, und aus irgendeinem Grund empfand ich eine unerklärliche Wut. Den ersten Whisky, den ich bestellte, kippte ich sofort hinunter. Ich bestellte einen zweiten und trank ihn pur und warm. Die Hitze schlug mir in den Bauch, der Alkohol wärmte mir das Blut, ich spürte, wie die Anspannung nachließ. Ich erblickte mich selbst im fliegenfleckigen Spiegel hinter dem Tresen; die Hutkrempe verschattete meine Augen. In den Tiefen des Raums hinter mir sah ich eine Frau ohne Begleitung, die mich beobachtete. Ich nahm den Hut ab und gestattete unseren Blicken, sich im Spiegel zu treffen.
    Sie war das, was man ein leichtes Mädchen nennen würde, aber natürlich war das nie so einfach. Alle erwarteten sie, bezahlt zu werden, taten aber beleidigt, wenn man derartiges im Voraus zur Sprache brachte. Es war immer ein schmaler Grat. Trotzdem, nach dem Blick, den wir getauscht hatten, war ich mir ziemlich sicher, dass wir uns verstanden. Ich winkte sie herüber und bot ihr einen Drink an. Sie nahm mit einem Achselzucken an. Ich bestellte mir selbst einen weiteren Whisky und legte die Hand auf ihr Knie.
    Jung. Neunzehn, vielleicht. Ihre Jugend entschädigte für das, was ihr an Schönheit fehlte. Sie trank ihr Bier schnell und geräuschvoll, wie ein Kind, mit der Nase im Glas. Ich bedeutete dem Barkeeper, noch eins zu bringen, und ermutigte sie zu reden, um mir die Last zu ersparen, das selbst tun zu müssen. Sie wohne in Murraytown, erzählte sie mir, dem alten Fischerdorf, das mittlerweile eingemeindet worden war. Ich merkte an, dass sie ziemlich weit weg von zu Haus war. Sie sei eine Freundin des Eigentümers, sagte sie. Mit dem Feingefühl eines Maulesels streute sie in ihre Konversation zarte Anspielungen auf ihre Miete, ihre Collegegebühren ein – warum müssen sie immer behaupten, sie würden studieren? –, zeigte auf ihren gebrochenen Schuhabsatz. Binnen kürzester Zeit hatte sie einen Schwips. Ich half ihr auf die Beine, erklärte ihr, wir hätten dieselbe Richtung, und bot an, sie nach Hause zu fahren.
    Wir stiegen die Treppe zu meiner Wohnung hinauf. Sie setzte sich auf die Couch, während ich uns beiden Drinks einschenkte. Ich setzte mich neben sie und legte den Arm auf die Rückenlehne.
    »Hast du keine Musik?«, fragte sie.
    »Warum reden wir nicht einfach«, sagte ich. »Du bist schön.« Ich legte ihr die Hand unters Kinn, drehte ihr Gesicht zu mir herum und küsste sie. Wir zogen ins Bett um.
    Ich begehrte sie. Ich wollte mit einer Frau schlafen. Außerdem wollte ich, dringend und unbedingt, mein Inneres von der noch namenlosen Emotion befreien, die von ihm Besitz ergriffen hatte. Als ich mich auf das Mädchen legte, sah ich im Licht eines vorbeifahrenden Wagens nicht ihr, sondern Saffias Gesicht. Als ich ihre Haut berührte, fühlte ich nichts als Saffias Haut. Ich drang schnell in sie ein.
    Das Mädchen, das sich bis dahin so gut wie nicht bewegt hatte, schien jetzt zum Leben zu erwachen und fing an, sich zu winden und zu stöhnen. Sie stellte sich zweifellos vor, das sei, was von ihr erwartet wurde. Tatsächlich zeitigte es exakt das Gegenteil der mit Sicherheit angestrebten Wirkung. Ich war genötigt, meine Aktivität proportional zu meinem schwindenden Verlangen zu steigern, und sie fasste es als Zeichen ihres Erfolgs auf, worauf sie ihr Repertoire um Koseworte und Anfeuerungsrufe erweiterte. Am liebsten hätte ich ihr eine Hand auf den Mund gelegt, aber dann hätte sie bestimmt angefangen zu schreien. Also konzentrierte ich mich ganz darauf, die Geräuschkulisse auszublenden. Schließlich brachte ich, nach ein paar Minuten, einen Höhepunkt zustande.
    In den folgenden Tagen widmete ich mich dem Aufsatz. Ich arbeitete meist bis tief in die Nacht, hieb in die Tasten, bis mich die Finger schmerzten. Julius kam und ging währenddessen wie bisher, lieh sich fünfundzwanzig Cent für eine Limo, informierte mich über die Fortschritte des Apollo- 10 -Projekts, bediente sich bei meinen

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