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Lied aus der Vergangenheit

Lied aus der Vergangenheit

Titel: Lied aus der Vergangenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Forna
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Büchern. Wie es aussah, hatte ihm Saffia nichts von meinem Besuch gesagt. Am Ende der Woche, nach einigem Umschreiben und Verwerfen, war mein Aufsatz fertig. Ich tippte ein sauberes Manuskript und reichte es ein.
    Zwei Wochen später lag der Aufsatz in meinem Postfach mit einer angehefteten kurzen Mitteilung des Dekans. Der Beitrag war für die Veröffentlichung abgelehnt worden.

7
    Ein Morgen. Adrian sitzt auf der Fensterbank und betrachtet den Streifen Land zwischen der Rückseite des Bungalows und der Umfassungsmauer. An einer Kletterpflanze hängt, mit einem Stück chirurgischen Faden befestigt, ein mit Zuckerlösung gefülltes und zu einer improvisierten Vogeltränke umfunktioniertes Arzneimittelfläschchen. Adrian trinkt seine Tasse Kaffee aus, schüttet den Bodensatz in den Ausguss und geht duschen und sich rasieren. Als er zurückkommt, schwebt ein winziger Honigsauger, nicht größer als eine Rosenknospe, neben der Vogeltränke. Seine hoch über dem Rücken gehaltenen Flügel schlagen so schnell, dass der Vogel nicht mehr als ein verschwommener Farbfleck mit einem langen gebogenen Schnabel ist. Hastig nimmt Adrian Zeichenblock und Malkasten zur Hand und versucht, das Geflirr von violett-schwarzen Federn einzufangen. Er sollte sich, wie er weiß, auf den Weg ins Büro machen. Stattdessen zeichnet und beobachtet er den Vogel, der, wie an einem unsichtbaren Gespinst aufgehängt, schwerelos in der Luft schwebt, und er denkt darüber nach, wie dünn, wie dürftig die Gründe seines Hierseins sind.
    Als Junge hatte er sich vorgestellt, später, als Erwachsener, ein Leben ungezählter Abenteuer zu führen. Frühe Fassungen dieser Vision sahen ihn als Retter von Tieren vor: einem ertrinkenden Hund, einem Pferd mit gebrochenem Bein. Als seine Fantasie sich weiter von der Heimat entfernte, rettete er Wildtiere aus Waldbränden oder sogar vor dem Aussterben. Noch später traten an die Stelle der Tiere ein Mädchen oder eine Frau: seine Cousine Madeleine oder seine dunkelhaarige Kunstlehrerin. Nachts träumte er von seiner Kunstlehrerin, von heroischen Taten und von gewaltigen Reisen, die es zu unternehmen, und Gipfeln, die es zu erklimmen galt – alles wie mit einer unbestimmten verschwommenen Gewissheit. Wie genau diese Abenteuer zustande kommen würden, war nicht klar; sie lagen einfach vor ihm, irgendwo in einer fernen bernsteinfarbenen Zukunft.
    Als er viel später darüber nachdachte, erkannte er, dass die Tönung seiner Jungenträume nicht so sehr Bernstein als Sepia gewesen war. Erinnerungen an seine Großeltern vielleicht, an ihre leicht exotischen Sitten, an das Elfenbeinfeuerzeug und an kampferduftende Zigarettenschachteln, an polierte Holzböden und Teppiche, lange bevor solche Einrichtungsgegenstände in Mode kamen. An seine Mutter, die um ein Haar im Ausland auf die Welt gekommen wäre. Es hatte ihn früher beeindruckt, wie nah sie daran gewesen war, eine Ausländerin zu werden, wie er es damals sah. Seine schwangere Großmutter, die kurz vor Ausbruch des Krieges aus dem Schiff ausstieg. Seine Jungenabenteuer fanden nicht in der Zukunft statt, sondern in irgendeiner fiktiven Landschaft der Vergangenheit, die ebenso gut von Tim und Struppi, Rider Haggard oder sonst einem der Abenteuerbücher inspiriert worden sein konnte, die Jungen seines Alters verschlangen. Abenteuer, die es durchzustehen und zu überleben galt, die irgendwie all die Dinge klären würden, die ihm Rätsel aufgegeben hatten, und nach denen ein ruhigeres Leben seinen Anfang nahm.
    Irgendwann um Adrians fünfzehntes Lebensjahr verblassten die Fantasien, um durch eine schleichende tückische Angst ersetzt zu werden. Während seines Vaters Krankheit fortschritt, verlangsamte sich das Leben im Haus und sog sich voll mit einer gedämpften Stimmung. Die Hoffnungen von Adrians Mutter ballten sich wie Wolken über seinem Kopf. Den Abschlussprüfungen folgte die Universität. Adrian entschloss sich, in der Nähe seines Heimatsorts zu studieren, um seiner Mutter helfen zu können. Als er ins zweite Jahr kam, kehrten diejenigen unter seinen Freunden, die sich ein Jahr Auszeit genommen hatten, kupferfarben und selbstbewusst zurück, nur um wieder abzureisen und ihr Studium in weit entfernten Universitätsstädten anzutreten.
    Als er nach Bristol aufbrach, um dort seine klinische Ausbildung aufzunehmen, wusste niemand außer ihm von der Stelle am Krankenhaus einer nahe gelegenen Stadt, die er angeboten bekommen und abgelehnt hatte. Auf dem Bahnhof

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