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Lied aus der Vergangenheit

Lied aus der Vergangenheit

Titel: Lied aus der Vergangenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Forna
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sammeln, die dann getrocknet und etikettiert wurden.
    Die Innenseite der Windschutzscheibe war von Kondenswasser und unserem Atem beschlagen, und die Scheibenwischer arbeiteten wie besessen. Jenseits des Tors hatten der Regen und die Dunkelheit die Menschen in ihre Häuser getrieben, die Öllampen der Straßenhändler gelöscht, Abfall und Passanten von den Straßen gefegt. Sie beugte sich beim Fahren vor, um durch die Windschutzscheibe etwas zu erkennen, als spähte sie in einen Brunnen. An einer Kreuzung übersahen wir fast eine Straßensperre, und vor uns tauchte die Gestalt eines in einen Plastikumhang gehüllten Soldaten auf. Eine Taschenlampe und ein Klopfen an der Scheibe. Saffia kurbelte ihr Fenster hinunter.
    »Ja, Sir. Tut mir leid!« Ich lehnte mich an Saffia vorbei vor, lächelte und berührte meine Hutkrempe. Ich nahm an, dass er in einer solchen Nacht keine Lust haben würde, sich mit uns abzugeben. Es kam nur darauf an, ihn auf die richtige Weise anzusprechen. Ich konnte von seinem Gesicht nichts erkennen, nur eine dunkle Gestalt hinter dem grellen Schein der Taschenlampe. Ich irrte mich. Gereizt, wie ich vermute, durch die Nässe und die ermüdende Beschaffenheit seines Dienstes, ließ er sich auf nichts ein.
    Saffia reichte ihm ihre Papiere, und als er darin nichts fand, was ihn befriedigt hätte, wollte der Mann als Nächstes den Gepäckraum durchsuchen. Ich befahl Saffia zu bleiben, wo sie war, und stieg aus. Ich sagte dem Soldaten, dass ich seine Arbeit und die Gründlichkeit, mit der er sie verrichtete, bewunderte. Ich holte mein Päckchen Zigaretten heraus und bot ihm eine an, dazu noch eine Kleinigkeit, um sich etwas zu essen zu kaufen. Es ist einfach, wenn man weiß, wie – nicht schwieriger als die Verführung einer Frau, die verführt werden möchte. Schon bald waren wir wieder unterwegs.
    In den vorbeihuschenden Lichtern erhaschte ich immer wieder kurze Blicke auf Saffias Gesicht, das mit gerunzelter Stirn stur nach vorne gerichtet blieb. Nach einer Weile sprach sie.
    »Haben Sie ihm etwas gegeben?«
    »Nur ein paar Zigaretten.« Genau genommen den größten Teil des Päckchens.
    »Das hätten Sie nicht tun dürfen.«
    »Das war doch nichts.« Ich zuckte die Achseln. Ich dachte, sie bedankte sich bei mir.
    Minuten später ließ der Regen nach. An der Abzweigung, an der es in meine Richtung ging, fuhr sie an den Straßenrand.
    »Elias, nehmen Sie es mir nicht übel. Ich glaube, ich sollte jetzt wirklich nach Hause.«
    »Natürlich. Es regnet ja nicht mehr. Von hier aus gehe ich zu Fuß.«
    Ich stand da und schaute den Hecklichtern des Wagens nach, die auf der nassen Straße glitzerten, kleiner wurden und verschwanden. Ich fühlte mich beschwingt. Gleichzeitig hatte ich das Gefühl, irgendwie etwas Falsches getan zu haben. Ich zündete mir eine von den wenigen mir noch verbliebenen Zigaretten an. Und brach in Richtung Brücke und zu Hause auf.

9
    Da gibt es Rasen, und dass Adrian zuletzt einen Rasen gesehen hat, ist ewig lange her. Sicher, die Bäume und das Blattwerk stehen üppig im Saft, die Hügel oberhalb der Stadt sind strotzend grün, aber der Boden ist rissig und die Erde roh. Adrian lechzt nach dem Gefühl von weichem Gras unter den Füßen, der Feuchtigkeit von Tau. Er würde am liebsten die Schuhe ausziehen und über den Rasen gehen, die Halme zwischen den Zehen spüren, die zunehmende Schwere und Feuchte seiner Hosenbeine. Es ist eine Illusion. Das Gras hier ist dornenartig und scharf. Da durchzugehen wäre wie auf glühenden Kohlen zu wandeln.
    Und es ist still. Zunächst durchdrang die abrupte, betäubende Stille alles. Jetzt, da er neben der Frau geht, wird er zum ersten Mal auf verschiedene Geräusche aufmerksam, Gemurmel und Gemurre, gedämpfte Geräusche. Er kann den Wind in den Palmkronen hören, die ihn an geblähte Spinnaker erinnern. Und er kann die See hören.
    Sie bleiben vor der Tür eines langen niedrigen Gebäudes stehen. »Okay. Bereit?«, fragt die Frau, die Ileana heißt und hier arbeitet. Adrian nickt. Sie drückt die Tür auf.
    Der Geruch schlägt ihm entgegen und gerinnt ihm im Rachen – Geruch nach Verwesung und Wildnis, der Geruch von Schlupfwinkeln und abgestandener Angst. Er beginnt, hastig und flach und durch den Mund zu atmen. Der Raum liegt im Halbdunkel. Bald kann er zwei Reihen von Betten und Matratzen ausmachen, auf denen jeweils eine Gestalt liegt oder sitzt. Ileana geht den Mittelgang entlang. Adrian folgt ihr, das nüchterne Geräusch seiner

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