Lied aus der Vergangenheit
ich sehen konnte. In dem Moment war es unmöglich zu erkennen, ob sie gerade angekommen war oder im Begriffe stand zu gehen. Mein Herz sprang mir voraus, während ich mit vorsichtigen Schritten, um meinen Zustand nicht zu verraten, auf die beiden zuging.
»Elias«, sagte sie, als sie mich als Erste sah; ihr Lächeln war offen und glücklich. Ade drückte mir eine Hand auf die Schulter.
»Hey, Mann.«
»Ich wusste gar nicht, dass Sie hier sind«, sagte ich. Ich weiß nicht, warum ich das sagte. Saffia hatte nichts für Small-Talk übrig. Ich steckte mir eine Zigarette an, meine Hände zitterten leicht.
»Wir haben uns gerade darüber unterhalten«, sagte sie, »auf welchen seiner Sinne man am ehesten verzichten würde, wenn man müsste.«
Es schien eine Wiederaufnahme unseres Gesprächs im Talk of the Town zu sein. »Das Gehör«, sagte ich, wie aus der Pistole geschossen. Und sie lachte.
»Ja. Ihnen glaube ich das. Aber Sie könnten sich dann natürlich auch nicht mehr mit Leuten unterhalten.«
Ich zuckte die Achseln. »Dann den Gesichtssinn. Und Sie?«
»Na ja, darüber haben wir ja gerade diskutiert. Wie es aussieht, könnte ich auf keinen von ihnen verzichten.«
»Den Geruchssinn?«, sagte ich. »Das könnte gelegentlich sogar von Vorteil sein.«
»Der Geruch einer Blume, des Regens, der eigenen Kinder. Ein Großteil des Geschmacks hängt von unserer Fähigkeit zu riechen ab. Machen Sie sich also bewusst, wie viel Sie sonst aufgeben würden. Wie auch immer …« Sie ließ die Gedanken davonziehen. »Wir haben einfach nur dummes Zeug geredet. Wie geht es Ihnen, Elias?«
Ich erwiderte, dass es mir gut gehe. In dem Moment nahm Ade die Gelegenheit wahr, sich von uns zu entfernen und im Gespräch mit einem anderen Gast einzufangen, während er Saffia meiner Obhut überließ – eine unausgesprochene Vereinbarung, als wäre sie etwas Kostbares, das bewacht werden müsse.
»Wo ist Julius heute Abend?«
»Er müsste auf dem Weg hierher sein.«
»Er hat Sie allein hierherkommen lassen?« Köstlich, seinem Rivalen etwas am Zeug flicken zu können.
»Ade hat mich begleitet. Ach, Sie kennen doch Julius.« Sie lachte unbeschwert und fügte hinzu: »Oder vielleicht auch nicht. Mein Mann hat viele Stärken. Pünktlichkeit gehört nicht dazu.«
Und so standen wir herum, konversierten gegen den Lärm an, betrachteten zwischendurch auch einfach nur die Leute um uns herum. Ich holte ihr eine Cola und noch eine. Julius ließ sich nicht blicken. Ich spürte an meinem Arm, wie sie die Schultern mehr und mehr hängen ließ. Aus der Schwärze begann Regen zu fallen. Um nicht pitschnass zu werden, gingen wir ins Haus, wo sich mittlerweile sogar noch mehr Leute drängten.
Zwischen zwei Männern, von denen der eine Ade war, brach ein Streitgespräch aus. Kekura, von dem ich nicht einmal gewusst hatte, dass er da war, hatte sich umgehend an die Seite seines Freundes gepflügt. Ich glaube, sie diskutierten über die Lage in Nigeria, wo Sezessionisten die Anerkennung ihres unrechtmäßigen Staates anstrebten. Ade war der Meinung, unsere Fakultät sollte zu einem Streik zur Unterstützung unserer dortigen Kollegen aufrufen. Ich könnte mir denken, dass Ade, wie sein Name vermuten ließ, nigerianische Vorfahren hatte, wenngleich ich nicht weiß, ob vonseiten des Vaters oder der Mutter, ja nicht einmal aus welchem Teil des Landes. Die Energie, die die beiden gegeneinander investierten – gestikulierend und einander an Lautstärke überbietend, um sich einen argumentativen Vorteil zu verschaffen –, hätte ausgereicht, um die nationalen Streitkräfte Nigerias zu besiegen. Die Tänzer in der Ecke drehten die Musik lauter. Ich war mittlerweile erheblich nüchterner geworden. Ich wandte mich zu Saffia und bot ihr an, sie nach Hause zu begleiten.
»Ich bin mit dem Auto hier«, sagte sie. »Ich könnte Sie absetzen, wenn Sie möchten.«
Während wir zum Wagen gingen, begann es ernsthaft zu regnen. Ohne Wind stürzte das Wasser senkrecht aus dem Himmel. Saffia holte eine Plastikhaube aus ihrer Handtasche und verknotete sie unter dem Kinn. Der Regen lockte den Geruch des Erdreichs hervor und verlieh dem Jasminduft in der mitternächtlichen Luft eine besondere Frische, eine Erinnerung an unsere frühere Unterhaltung. Während wir gingen, sprach sie vom Universitätsgelände und von den vielen Pflanzenarten, die es beherbergte, manche sehr selten, andere eingeführt. Sie hatte daran mitgearbeitet, sie zu katalogisieren, Proben zu
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