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Lied aus der Vergangenheit

Lied aus der Vergangenheit

Titel: Lied aus der Vergangenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Forna
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mich anzusehen, nahm wieder Platz und spreizte, wie zuvor, die Finger seiner winzigen Hände auf dem Schreibtisch, als musterte er seine Nägel.
    »Mein Rat? Bei der Arbeit, die es machen würde, können Sie genauso gut neu anfangen. Die Redaktion sucht wirklich etwas anderes.« Jeder wusste, dass die Redaktion der Zeitschrift und der Dekan ein und dasselbe waren. »Wenn Sie sich beispielsweise ein bisschen in den Archiven umsehen würden … Die Universität kann sich glücklich schätzen, sie zu besitzen, und sie sind meiner Ansicht nach eine unterschätzte Quelle. In Europa wird, wie Sie wissen, der Beginn der neueren Geschichte mit dem Ende des Mittelalters angesetzt. Nicht ganz auf uns hier anwendbar. Trotzdem bleibt einem ein recht großer Spielraum.«
    Und damit war unser Gespräch, sobald ich ausgetrunken hatte, mehr oder weniger beendet. Als ich die Tür erreichte, machte er eine weitere, vollkommen beiläufige Bemerkung.
    »Dr. Kamara, vom Maschinenbau. Ein Freund von Ihnen?«
    »Ja«, erwiderte ich. »Ich kenne ihn allerdings noch nicht lang.«
    »Nein«, erwiderte er. »Natürlich nicht. Nun, einen schönen Abend.«
    In derselben Woche lud mich mein alter Freund Banville Jones zu einer Party auf dem Campus ein, und nachdem ich zunächst abgelehnt hatte, erschien mir die Idee, nach einem weiteren Abend allein zu Hause, durchaus verlockender. Am fraglichen Freitag steckte ich den Kopf durch seine Tür und sagte, ich würde mitkommen. Damals gab es mehr Partys. Oder vielleicht kommt es mir nur im Nachhinein so vor. Nein, ich glaube wirklich, dass es eine Zeit der Partys war. Wir waren glücklich, zumindest glaubten wir das. Stürzten uns kopfüber ins Freie, ins Offene. Die Euphorie brauchte lang, um zu sterben. Wir durchfeierten die Ausgangssperren, kamen spät und blieben bis zum Morgen. Selbst als es keine Ausgangssperre mehr gab, denn bis dahin war es uns zur Gewohnheit geworden.
    Als wir eintrafen, war das Haus schon überfüllt, die Party in vollem Gange; Menschen quollen heraus auf die Veranda und in den Garten, gingen ein und aus durch Licht und Schatten. Auf einem niedrigen Tisch offene Flaschen Johnnie Walker und Bacardi, ein Kübel Eis.
    Drinnen schrien die Leute über die Musik und das Lachen aufeinander ein. In einer Ecke neben dem Plattenspieler wiegten sich einige wenige Paare und schnippten mit den Fingern. Banville Jones stürzte voraus, während ich einen Schritt jenseits der Schwelle stehen blieb. Die Luft im Zimmer war heiß und klebrig; schon nach wenigen Augenblicken trat mir der Schweiß auf die Oberlippe.
    Banville Jones und ich waren vom Campus weg schon auf ein paar Bier gegangen, und um die Wahrheit zu sagen, war ich bei meiner Ankunft bereits ein bisschen betrunken. Ich hatte vergessen, wessen Party das überhaupt war. Nicht dass es eine Rolle gespielt hätte. Das Gros der Gäste war aufgrund von Mundpropaganda da. Von der Party zu hören galt bereits als Einladung. Ich schenkte mir ein Glas Whisky ein und schob mich durch das Gedränge, bis ich die Tür zum Patio erreichte. Mich in ein laufendes Gespräch einzuschleichen erschien mir wie eine mühselige Aufgabe, und ich fing an, mich zu fragen, ob mein Entschluss zu kommen so klug gewesen war. Ich trat ins Freie und lehnte mich mit dem Rücken gegen die Hauswand, stellte fest, dass mich eine Lampe blendete, und ging ein Stück weiter. Ein Nachtfalter, der um das Licht tanzte, warf vogelgroße Schatten. Ich schlenderte zur Treppe, die in den Garten hinunterführte. Die Luft war wie eine schwere metallene Last. Die Silhouette der Hügel, wie ein kauerndes Tier, von fernem Wetterleuchten erhellt. Ich sah ein, zwei Leute, die ich vage kannte, aber ich konnte nicht die Energie aufbringen, sie zu grüßen. Ich trank einen Schluck Whisky. Eine niedrige Verandabrüstung bot sich als Ablage an. Ich stellte mein Glas darauf ab. Es gab Frauen im Überfluss, und ich spielte müßig mit dem Gedanken, mit einer von ihnen ein Gespräch anzufangen. Ich dachte an Vanessa, von der ich seit dem Abend im Talk of the Town nicht viel zu sehen bekommen hatte. Meine Entscheidung. Sie hätte mir verziehen, aber das hätte mich ein neues Kleid für sie gekostet.
    Unter dem Überhang eines großen Strauchs meinte ich Ade auszumachen, seinen charakteristischen klotzförmigen Kopf. Ja, das war er. Und neben ihm: Saffia! Sie stand sehr gerade, wie ein Schulmädchen, hielt ihre Handtasche mit beiden Händen vor dem Bauch, ohne einen Drink – jedenfalls soweit

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