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Lied aus der Vergangenheit

Lied aus der Vergangenheit

Titel: Lied aus der Vergangenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Forna
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dazu herablassen, den Botengang zu erledigen, also musste Adrian warten, bis ein hinlänglich unbedeutender Mensch – einer der allgegenwärtigen kleinen Jungen der Stadt – aufgetrieben worden war.
    Adrian erklärte sich bereit, den Gefangenen zur psychiatrischen Anstalt zu begleiten. Mithilfe zweier Beamter verfrachtete er den jungen Mann in ein Taxi und stützte ihn am Rücksitz ab. Mittlerweile hatte dieser seinen inkohärenten Diskurs wiederaufgenommen, als beklagte er sich über seine Behandlung, und zitterte heftig. Adrian glitt neben ihn auf die Sitzbank. Der junge Mann zuckte zusammen und schrumpfte weiter von ihm weg.
    »Alles okay«, sagte Adrian, indem er sich bückte und die Stricke löste, mit denen die Füße des jungen Mannes gefesselt waren.
    Unwillig und mürrisch verlangte der Taxifahrer den doppelten Fahrpreis. Der Polizist reagierte darauf mit einem Lachen, das bar jeder Heiterkeit war, und knallte mit der flachen Hand auf das Fahrzeugdach. Der Schlag ließ das ganze Wageninnere erdröhnen und versetzte den jungen Mann wieder in Erregung. Das Taxi fuhr los.
    Da er seinen Schutzbefohlenen nicht allein lassen wollte, wartete Adrian innerhalb des Anstaltsgeländes auf einer Holzbank. Neben ihm zog der junge Mann die Knie bis ans Kinn hoch und streifte sich das T-Shirt über das Gesicht. An einem offenen Fenster stand eine Frau mit nacktem Oberkörper und brüllte Unsichtbare an. Im Eingangsbereich schlenderten Leute herum, aber keiner machte den Eindruck einer Amtsperson. Zwei Männer unterhielten sich im zänkischen Ton alter Bekannter. Der eine hatte Adrian zu der Bank geführt, sich aber sonst nicht weiter um ihn gekümmert. Eine Hündin versuchte, sich durch das Tor auf das Anstaltsgelände zu schleichen.
    Adrian wusste nicht recht, was er tun sollte. Er wandte sich an einen der zwei Männer. Ja, ja, sagte der Mann lächelnd und hob eine Hand, Adrian möge warten. Adrian ließ sich wieder auf der Bank nieder. Die Temperatur war gestiegen, er fing allmählich an zu schwitzen. Ein Mann stand außerhalb des Tors, Nase und Ohren mit Papier verstopft, und schrie: »Reden Sie nicht so mit mir! Ich bin kein Patient mehr!« Neben Adrian wiegte sich der junge Mann hin und her.
    Nach einiger Zeit kam ein Mann in einem weißen kurzärmligen Hemd und weißer Hose um die Ecke. Ein Pfleger. Er rief der Frau am Fenster zu, sie möge ruhig sein. Prompt verschwand sie. Einer der Männer, die am Tor standen, winkte ihm mit einer weit ausholenden Geste zu, die Adrian gleich mit einschloss. Endlich stand Adrian auf.
    Der Pfleger ging voraus, ungerührt, mit metronomischem Schritt. Adrian blieb es überlassen, den jungen Mann zum Mitkommen zu bewegen. Sobald sie den Eingangsbereich verlassen hatten, setzte die Stille ein, die, in Verbindung mit der Art des Pflegers, den jungen Mann zu beruhigen schien, sodass seine Angst bloßer Verwirrung wich. Sie wurden in ein Zimmer geführt, das nichts enthielt außer einem Schreibtisch, einem Stuhl und einem Glasschrank, in dem mehrere Fachbücher standen. Der Pfleger holte von draußen einen weiteren Stuhl. Er deutete erst auf den jungen Mann, dann auf den Stuhl. Erstaunlicherweise gehorchte der junge Mann, mit linkischen Bewegungen, und saß hin und her schwankend da. Adrian fiel die außergewöhnliche Sauberkeit des Pflegers auf, die Gleichmäßigkeit seines Haars, seine wie polierte Haut. Die Kleidung blütenrein. Er sah ihm nach, wie er den Raum verließ und die Tür hinter sich schloss, alles ohne ein einziges Wort.
    Ein paar Minuten später, und die Tür öffnete sich wieder. Der Pfleger hielt sie für eine fahlhäutige Europäerin auf. »Danke, Salia«, sagte sie. Sie trug einen Kittel über einem Rock, bequeme Slipper, dunkelroten Lippenstift und war vom Geruch nach frischem Zigarettenrauch umgeben. Adrian verbarg seine Erleichterung darüber, eine andere weißhäutige Person zu sehen, indem er referierte, was er über den Patienten wusste.
    Die Frau stand da und hörte ihm zu, die Hände in der tiefen Bauchtasche ihres Kittels, und sah ihn von oben bis unten an. »Wer zum Teufel sind Sie?«, fragte sie.
    Gemeinsam schauten sie zu, wie zwei Wärter in blauen Kitteln unter der Aufsicht des untadeligen Pflegers, der, auf den Fußballen wippend, die Arme vor der Brust verschränkt, konsequent zwei Schritt Abstand hielt, den Patienten abführten. Er hat keine Angst vor dem Patienten, dachte Adrian, er hat Angst, sich schmutzig zu machen. Die Frau stellte sich als Ileana

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