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Lied aus der Vergangenheit

Lied aus der Vergangenheit

Titel: Lied aus der Vergangenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Forna
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hinausgekommen. Er lehnte sich in seinem Sessel zurück, und das Leder knirschte unter seinen Gesäßbacken. Ich stellte mir seine Füße vor, unter dem gigantischen Schreibtisch, seine Schuhspitzen, die wenig über dem Boden baumelten.
    »Gut. Gut.« Er legte die Hände vor sich auf den Schreibtisch und breitete die Finger aus. Seine nächste Bemerkung kam, wie es schien, völlig ohne Zusammenhang.
    »Das ist eine echte Verantwortung, wissen Sie, die Verwaltungsarbeit.«
    »Natürlich.« Was blieb mir anderes übrig, als ihm beizupflichten?
    »Oh, sie bringt einem nicht die Anerkennung der akademischen Welt ein. Sie wissen das. Ich weiß das. Und doch sind bedeutende Gesellschaften auf ihrer Administration aufgebaut. Wir sind Historiker. Wir sind nicht diejenigen, die Geschichte machen. Ebenso wenig die Generäle. Es sind die Verwalter. Wer waren die ersten Verwalter in diesem Land, Cole?« Er hatte gedankenverloren aus dem Fenster gestarrt. Jetzt fuhr sein Hals herum, und sein Blick wurde auf einen Punkt in der Mitte meiner Stirn umgelenkt. Bevor ich etwas erwidern konnte, wedelte er warnend mit dem Finger, als wäre ich im Begriff, die falsche Antwort zu geben. »Nicht die Briten, auch wenn sie sich das gern an die Fahne heften möchten. Es waren die Fula! Ja. Viehzüchter und Krämer. Und – ich weiß es und Sie ebenso, Cole« – dieses Falkenauge forderte mich heraus, Gegenteiliges zu behaupten – »einstmals Herrscher des größten Reiches in Westafrika. Ich sollte besser sagen, des mutmaßlich größten, da die Quellenlage natürlich recht dürftig ist.«
    Er stieß sich in seinen Sessel zurück; wieder seufzte das Leder auf, als es sich seinen Bewegungen anpasste. Ich wartete, noch immer verdutzt durch die Wendung, die das Gespräch genommen hatte.
    »Ihr Talent lag nicht etwa in überragenden militärischen Fähigkeiten. Die Menschen, die sie unterwarfen, waren größtenteils Bauern, keine Krieger. Ihr Talent, ihr Trick« – und hier wurde seine Stimme lauter, bis er regelrecht schrie –, »ihre Brillanz bestand darin, in jeder Stadt und jedem Dorf, durch das sie kamen, einen Verwalter zurückzulassen. Jemanden, der die lokalen Herrscher unter Kontrolle hielt und dafür sorgte, dass die Steuern in der richtigen Höhe und zum richtigen Zeitpunkt entrichtet wurden. Alles ohne Zuhilfenahme eines Ablagesystems. Auf die Weise weniger Bürokratie. Ha!« Und er stieß einen bellenden Laut aus, wie einen Hustenstoß. »Einheimische Administration, verstehen Sie? Also doch keine Erfindung der Briten! Aber die Bürokratie, ja das war wirklich ihr Beitrag. Ha!« Wieder bellte er. »Vergessen Sie die Politiker und die Militärs. Lernen Sie, die Verwalter zu respektieren!« Und er wedelte wieder mit dem Finger, aber weniger bedrohlich diesmal, als wollte er mich der Scherzhaftigkeit seiner letzteren Bemerkung versichern. Dann schüttelte er leicht die Schultern. »Aber das brauche ich Ihnen nicht zu sagen. Ihr Vater war ja Beamter.«
    Ich nickte.
    Von entsprechendem Geknarre begleitet, schwang sich der Dekan aus seinem Schreibtischsessel und ging ans Fenster.
    »Sie gehen großzügig mit Ihrem Arbeitszimmer um. Ausgezeichnet. Ich habe den Eindruck, dass ich mit Ihnen die richtige Wahl getroffen habe. Nicht genug Platz, die Universität war nie für so viele Studenten konzipiert. Kein einziger Entscheidungsträger hat sich je die Zeit genommen, über die Folgen all dieser Entscheidungen nachzudenken. Lediglich, wie populär sie sein würden.«
    »Ja«, erwiderte ich, bislang meine einzige wirkliche Aussage. Ich fragte mich allmählich, ob wir je zum eigentlichen Thema, meinem Artikel, kommen würden. Ich wagte es: »Ich habe einen Artikel für die Zeitschrift eingereicht. Ich hatte mich gefragt, ob wir vielleicht …«
    Der Dekan unterbrach mich mit einer Handbewegung. »Ach ja, ja. Nicht direkt Ihre beste Leistung. Tut mir leid, Cole. Und in der Zeitschrift war der Platz knapp.«
    »Ich hatte gehofft, wir könnten die konkreten Punkte erörtern, die Sie problematisch fanden.«
    »Sind Sie sicher, dass Sie das wirklich wollen?« Ich konnte seinen finsteren Blick in der Fensterscheibe gespiegelt sehen. »Also gut. Sie haben mit der falschen Fragestellung angefangen, somit war die Argumentation von Anfang an fehlerhaft.« Er stand weiter so da, den Rücken zu mir gekehrt. Ich wartete, aber er fügte dem nichts weiter hinzu.
    »Ihre schriftlichen Anmerkungen wären sehr hilfreich.«
    Er wandte sich vom Fenster ab, ohne

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