Lied aus der Vergangenheit
Schuhe auf dem Zementfußboden in den Ohren, und schaut nach links und rechts, registriert die befleckten Matratzen, die Spuren an den Wänden, Schatten derjenigen, die dort angelehnt saßen. Bei ihrem Näherkommen beginnen manche Patienten, sich zu regen. Vor einem hohen Eisenbett bleibt Ileana stehen, und Adrian ebenfalls. Auf dem Bett liegt ein Mann, den Kopf auf einem unbezogenen Kissen.
»Hallo, John, wie geht es Ihnen?«
Beim Klang ihrer Stimme wälzt sich der Mann herum, sodass er ihnen beiden zugewandt ist. »Mir geht es gut, Frau Doktor«, antwortet er und beginnt, sich langsam hochzustemmen. »Und wie geht es Ihnen?«
»Bestens, danke, John. Ich habe heute jemand mitgebracht. Einen anderen Arzt, aus England. Er möchte sich über uns informieren.«
Der Mann auf dem Bett dreht den Kopf, um Adrian anzusehen, während er sich gleichzeitig in eine sitzende Position bringt. Es ist ein unregelmäßiges kratzendes Geräusch von Metall auf Metall zu vernehmen. In der Stille des Krankensaals wirkt es beängstigend laut. Sobald er sich aufgerichtet hat, streckt der Mann die Hände aus, und es fängt wieder an, ein Geräusch wie von etwas sich Entrollendem. Aus irgendeinem Grund muss Adrian dabei an Schiffe denken. Er schaut auf die Hände des Mannes hinunter: die Handgelenke mit Lappen umwickelt, Metallmanschetten, die Hände zum Gruß aneinandergepresst. Das Geräusch verstummt abrupt und hinterlässt ein schwaches Klirren in der Luft, als der Mann auf dem Bett die volle Reichweite seiner Ketten erreicht.
Mittwoch. Am Morgen war der Anruf von der Polizeiwache gekommen. Kaum angekommen, wurde Adrian von derselben Beamtin zum selben Raum geführt wie an dem Tag, als er den tauben Jungen untersucht hatte. Diesmal blieb sie in einiger Entfernung von der Tür stehen und erlaubte ihm, allein weiterzugehen. In dem Zimmer war ein augenscheinlich schlafender Mann, zusammengerollt, den Rücken zur Tür, die Hände zwischen den Knien.
»Was tut er hier?«, fragte Adrian mit einem Blick über die Schulter die Frau.
Sie zuckte die Achseln. »Die Angehörigen haben ihn hergebracht.«
»War er gewalttätig?«
»Haben die jedenfalls gesagt«, sagte sie in beleidigtem Ton. »Sie wollen ihn nicht bei sich haben. Sie sagen, sie haben Angst vor ihm. Dass er die Tür verbarrikadiert hat und auf jeden losgehen wollte, der hereinkam. Die machen sich Sorgen, dass er das ganze Haus kurz und klein haut.«
»Aber was genau ist das Problem? Warum haben Sie mich gerufen?«
Sie hatte sich nicht einmal die Mühe gemacht, ihn anzusehen, hatte ihn lediglich mit einem Blick gestreift aus leeren Augen, einem gelangweilten Gesicht. Sie tippte sich mit dem Finger an die Schläfe.
Adrian klopfte an und trat ins Zimmer, wobei ihm der schnelle Rückzug der Polizistin nicht entging.
Einmal drinnen, schloss er die Tür und blieb mit dem Rücken zu ihr stehen. Es war heftiges Atmen zu hören.
»Hallo«, sagte er. Beim Klang seiner Stimme rückte die Gestalt auf der anderen Seite des Zimmers ein paar Fingerbreit näher zur Wand. Die Atmung wurde hastiger, ein Schwall von unverständlichen Worten.
Adrian hielt inne, trat dann weiter vor und kündigte dabei alles, was er tat, an. »Ich hoffe, Sie haben nichts dagegen, wenn ich ein Stückchen näher komme. Ich möchte mit Ihnen reden. Ist das in Ordnung? Ich komme immer näher, bis Sie Stopp sagen.«
Das Gebrabbel nahm mit jedem Schritt an Tonhöhe und Leidenschaft zu, aber der Mann schien nicht mehr zu versuchen, von ihm abzurücken. Einen knappen Meter von ihm entfernt ging Adrian in die Hocke, sodass er fast auf gleicher Höhe mit der Gestalt kauerte.
»Mein Name ist Adrian. Ich bin Arzt. Wie heißen Sie?«
Eine gewisse Reaktion, insofern die Laute leiser wurden.
Adrian wartete.
»Sie sind bestimmt hungrig. Sind Sie hungrig? Hätten Sie gern etwas zu essen?«
Das Gemurmel beruhigte sich und verstummte, Stille, abgesehen vom Geräusch der Atemzüge. Die Gestalt spannte sich erst an und begann dann zu wippen, bis sie sich mit großer Anstrengung herumwarf und auf die andere Seite klatschte, wie ein Fisch. Vor Adrian lag ein junger Mann, an Händen und Füßen gefesselt.
Die Polizisten wollten ihn loswerden. Adrian machte ihnen klar, dass die Beschaffung von Wasser und Essen das Erreichen dieses Wunschziels erheblich beschleunigen könnte. Auf eigene Kosten ließ er einen Brotfladen und eine kleine Plastiktüte Wasser samt Trinkhalm herbeischaffen. Kein einziger Polizeibeamter wollte sich
Weitere Kostenlose Bücher