Lied aus der Vergangenheit
eine Attacke auszulösen. Deswegen hatte Saffia ihn während jenes ersten Abendessens in ihrem Haus so besorgt angesehen. Diesmal ging das Lachen in Husten über, er hatte in letzter Zeit viel gehustet. Der Jahreszeitenwechsel vielleicht. Der Harmattan neigte sich dem Ende zu, der Staub in der Luft hatte abgenommen. Aber die Regenzeit brachte eigene Gefahren mit sich. Sporen und Pollen erfüllten die Luft, als neues Leben hervorbrach. Schon nach wenigen Augenblicken begann er zu keuchen, ein auf- und absteigendes Pfeifen, von wiederkehrenden Hustenanfällen unterbrochen. Er griff in die Tasche, holte einen Inhalator heraus. Ich war überrascht. Vermutlich hatte ich mir immer vorgestellt, Asthmatiker seien weit weniger kräftig gebaut als ein Mann wie Julius. Ich erinnere mich, dass er mir einmal erzählte, er sei als Kind fast gestorben. Ich glaube, er muss von seinem Asthma gesprochen haben. Er war der Jüngste, der einzige Junge. Jetzt wurde mir alles klar. Er benahm sich deswegen so, als wäre die Welt ausschließlich seinetwegen geschaffen worden, weil er ständig verhätschelt und verwöhnt worden war, keine Frage. Oder vielleicht auch, weil er so kurz davorgestanden hatte, diese Welt zu verlassen.
In den darauffolgenden Wochen war ich zu zwei Gelegenheiten Gast in ihrem Haus. Beide Male auf Julius’ Geheiß, und selbst auf die Gefahr hin, durch eine plötzliche ungewohnte Schweigsamkeit seine Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen, fügte ich mich. Ich konnte der Aussicht, ihr nahe zu sein, nicht widerstehen. Ich suchte Linderung in dem, was gerade die Ursache meines Leidens war.
Saffias Rückzug von mir gestaltete sich als ein untadeliges Wahren guter Manieren. Mir allein fiel auf, dass ihre Augen nie die meinen suchten, wie sie es früher, unbefangen, getan hatten. Und wenn sich unsere Blicke einmal zufällig trafen, ging ihr Lächeln nie in die Breite, wie einst, sondern blieb in Tiefe und Breite unverändert, um schnell von dem Angebot, mir ein weiteres Bier zu holen, der Frage, ob mich die Mücken störten, dem Vorschlag, diesen oder jenen Ort zu besuchen oder uns mit dieser oder jener Person zu treffen, verdrängt zu werden. Sie erkundigte sich häufig nach Vanessa. Eine Methode, einen Mann wieder auf gebührenden Abstand zu rücken, die Frauen von Natur aus beherrschen, oder vielleicht auch erst lernen.
Bei der zweiten Gelegenheit, einem Abendessen bei ihnen, blieben Saffia und ich kurzzeitig allein am Tisch. Julius und Ade waren losgezogen, um mehr Bier zu holen. Kekura war zur Toilette verschwunden. Es konnte ihr nicht willkommen sein, so plötzlich von den anderen im Stich gelassen zu werden, doch es blieb ihr keine andere Wahl, als mich zu unterhalten. Sie füllte die Stille mit einer Frage, einer weiteren Frage, nach Vanessas Befinden.
»Das ist es ja gerade«, sagte ich. »So leid es mir tut, Ihnen das sagen zu müssen: Vanessa und ich werden wohl doch nicht heiraten.«
»Oh.« Sie war aufrichtig verblüfft, wie natürlich nicht anders zu erwarten. Allerdings noch immer auf der Hut. »Das war mir nicht klar gewesen. Ich meine, ich wusste nicht, dass Sie beide verlobt waren.«
»Nein, natürlich nicht. Und wir waren es auch nicht, nicht offiziell. Ich hatte gehofft, dass es dazu kommen würde; Vanessa hat anders entschieden.«
»Sie hätten zu mir kommen sollen.« Ihr Gesicht war voller Anteilnahme.
»Bin ich ja. Ich meine, ich habe es versucht. Aber Ihre Tante … Es war nicht der richtige Zeitpunkt.«
Eine Notlüge. Essenziell für unsere Freundschaft, für die heiklen Verhandlungen, die diese Freundschaft im Rahmen des Zulässigen hielten. Ich beobachtete ihr Gesicht, während sich die Schatten des Begreifens, der wechselnden Empfindungen vertieften, sah die aufleuchtende Erleichterung, die Röte der Verlegenheit, die mit der Erkenntnis kam, dass sie den Zweck meines letzten Besuchs missdeutet hatte.
»Vielleicht könnte ich mit Vanessa reden.« Jetzt war sie begierig zu helfen.
»Danke, Saffia. Aber ich glaube nicht, dass es gut wäre. Auch nur im Mindesten gut wäre.« Ich schüttelte den Kopf und starrte auf meinen Teller. Ein kurzes Schweigen. Von irgendwo hinten im Haus kam der Gesang der Klospülung. »Da wäre nur eine Sache.« Ein letzter sanfter Schlag. Ich konnte der Versuchung nicht widerstehen, meinen Vorteil bis zur Neige auszuschöpfen.
»Natürlich.«
»Wenn Sie nichts dagegen hätten, wäre es mir lieber, wenn das unter uns bliebe. Nicht einmal Julius.«
»Nein, nein.
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