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Lied aus der Vergangenheit

Lied aus der Vergangenheit

Titel: Lied aus der Vergangenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Forna
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Sympathisantentum, wenn man den Behörden Glauben schenken wollte. Das Verlangen nach Redefreiheit, wenn man auf der Seite der Studenten war. Ich maß beiden Versionen wenig Bedeutung bei. Die Studenten waren Unruhestifter. Die Polizei tat ihre Arbeit, zweifellos mit Vergnügen. Aber sie tat sie immerhin. Für mich gehörten derlei Possen zu einer ganz anderen Welt. Das hier war Afrika. Die Sechzigerjahre hatten uns hier nicht erreicht. Na ja, das trifft nicht ganz zu. In anderen Ländern, wie etwa Nigeria, waren manche Akademiker durchaus politisch aktiv geworden und hatten wegen bestimmter Dinge, die ihnen nicht passten, Krawall geschlagen. Aber sie waren eher die Ausnahme als die Regel. Und erreichten damit nichts, als ihre Posten zu verlieren. Und mit manchen von Julius’ Ansichten über Erziehung konnte ich auch nicht unbedingt etwas anfangen. Unsere Aufgabe war, die Studenten durch ihre Examina zu bringen, das war alles. In der Hinsicht könnte man sagen, dass ich Traditionalist war, so wie der Dekan.
    Ich brachte das Gespräch wieder auf Kurs, indem ich das Thema meines geplanten nächsten Artikels anschnitt: »Direkte Besteuerung in der Frühgeschichte der Provinz.« Der Dekan besaß, wie er mir bereits bewiesen hatte, die Seele eines Erbsenzählers. Erwartungsgemäß war er von meinem Vorschlag entzückt. Darauf entspann sich zwischen uns ein höchst angenehmes Gespräch über diesen Gegenstand, bei dem er mich durchweg als ihm gleichgestellt behandelte. Nach einiger Zeit erhob ich mich und schickte mich an zu gehen.
    »Schön, mit Ihnen zu reden, Cole.« Und dann: »Cole?« Ich drehte mich wieder um, die Hand an der Tür. Ohne zu mir aufzusehen, wühlte der Dekan in den Papieren, die auf seinem Schreibtisch lagen. »Ihr Zimmer. Wollten Sie mir nicht eine Liste der Personen geben, die es außerhalb der Dienstzeiten benutzen?«
    »Nicht dass ich wüsste.«
    »Ach. Ich meinte, ich hätte Sie darum gebeten.«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Nun, wie auch immer, demnächst findet eine Konferenz über die Büroflächenverhältnisse auf dem Campus statt. Es wäre gut, ein paar Zahlen zu haben, damit ich mir ein Bild machen kann. Wenn schon kein Gesamtüberblick, dann zumindest ein Beispiel zur Untermauerung unseres Standpunkts.« Jetzt hob er den Kopf und sah mich direkt an.
    »Natürlich. Kein Problem.«
    »Legen Sie es in mein Postfach.«
    Ich versicherte ihm, dass ich das tun würde, und ging.

14
    Dort, auf dem gegenüberliegenden Pfad, Attila. Es ist der Morgen von Adrians drittem Besuch in der Anstalt. Er kann nicht anders, er schätzt die Entfernung zur Treppe ab, die zu Ileanas Zimmer hinaufführt, und gelangt zu dem Ergebnis, dass eine Begegnung unausweichlich ist. Er spürt, dass er leicht errötet, etwas an dem Mann verunsichert ihn.
    Attila scheint sich nicht an seinen Namen zu erinnern.
    »Natürlich«, sagt er, als Adrian ihn nennt, mit einem schmalen tödlichen Lächeln. »Sie sind also wieder da. Wie kommen Sie zurecht?«
    »Gut. Danke. Salia ist mir sehr behilflich.«
    Mehr möchte Adrian nicht sagen, bevor er nicht Gelegenheit gehabt hat, ein weiteres Gespräch mit Agnes führen, bevor er nicht eine umfassendere Vorstellung von ihrem Zustand hat. Hier ist Attila allmächtig, bedeutet sein Wohlwollen alles. Der Minotaurus in seinem Labyrinth. Adrian tritt beiseite, um dem älteren Mann den Vortritt zu lassen.
    Agnes ist ihm noch immer ein Rätsel. Er hat nur wenige Anhaltspunkte, mit denen er arbeiten kann. Es gibt keine Anzeichen von Wahnvorstellungen, sie ist ruhig. Die Wärterinnen sagen, sie gehöre zu den besseren Patientinnen, womit sie meinen, dass sie den Betrieb nicht stört, lediglich über Kopfschmerzen klagt. Sie scheint sich in einem Zustand ständiger Bereitschaft zu befinden, als warte sie auf jemanden oder etwas.
    Zweimal hat Adrian sie befragt, beide Male in Salias Anwesenheit. Bei der letzten Gelegenheit hat Adrian sich von Ileana eine Orange, einen Zuckerwürfel und einen Keks mit Marmeladenherz geborgt. »Können Sie mir sagen, wie das heißt?«, sagte er und ließ die Orange über den Tisch auf sie zurollen. Er bot ihr an, dass sie jede Sache, die sie richtig benennen konnte, behalten dürfe. Sie war ansprechbarer gewesen, und auch wenn sie Adrian weiterhin nicht direkt ansah, beantwortete sie seine Fragen. Für Agnes war er vermutlich eine Person von einiger Autorität – ein Eindruck, den er aufrechtzuerhalten beschloss. Sie konnte sich nicht erinnern, wie sie

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