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Lied aus der Vergangenheit

Lied aus der Vergangenheit

Titel: Lied aus der Vergangenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Forna
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wahrnehmen. In der Ecke des Raumes lächelt eine Frau und singt sich was vor.
    Anschließend geht er durch den Garten, am Rasen vorbei zu einem kleinen Baumbestand in einem verborgenen Winkel. Der einstige Patientengarten ist verwildert. Das Mosaikpflaster der Pfade ist überwuchert, in der Luft hängt ein Geruch von toten Blumen, vermischt mit der Frische der See. Der Boden ist mit langen gebogenen Schoten bedeckt, von denen einige aufgeplatzt sind und ihre Samen vergossen haben. Eine Orchidee, dunkel und dicht, kauert über ihm auf einem Ast. Er denkt über Agnes und ihre Irrfahrten nach. Fugue nennt sich das in seiner Branche: ein Zustand, in dem der Körper die gestörte Seele auf düstere Wanderungen begleitet.
    Agnes ist auf der Suche nach etwas. Etwas, zu dem sie sich aufmacht und das sie nicht findet. Ein ums andere Mal.

15
    Der Mann auf dem Tisch hat Träume, er träumt vom Heiraten. Von einem Patienten weiß Kai gewöhnlich bestenfalls den Namen und die Krankengeschichte, manchmal nicht einmal so viel. Aber dieser hier ist Kais Elektivpatient. Sein Traum ist, gerade zu laufen und eine Braut zu finden, oder vielleicht wäre es treffender zu sagen: Bräutigam zu werden. Es gibt nicht viele, die ihre Tochter einem Krüppel geben würden, dazu noch einem armen. Sein Name ist Foday. Das wird jetzt seine erste Operation.
    Kai bedient das Pedal des Diathermiegerätes, mit dem die Blutgefäße gleich beim Schnitt kauterisiert werden. Im Kontrast zu dem jugendlichen Gesicht ist Fodays Körper muskulös und weist alte Narben auf, eine an der rechten Handwurzel, eine andere an der Rückseite des Beins, das sie gerade operieren, zwei kleine kreisförmige Narben an seiner rechten Gesäßbacke.
    »Hat ja einiges hinter sich, der Bursche«, sagt Seligmann. Und dann: »Verzeihung«, als er den Blick der Anästhesistin mitbekommt. Kai weiß, dass sie Seligmanns eher flapsige Bemerkung auf den Krieg bezogen hat. Doch er sagt nichts.
    Foday liegt auf dem Tisch, schlafend und nackt. Er hat seine Träume in die Hände der Chirurgen gelegt und seine Hoden in die Hand einer OP -Schwester, die sie hochhält, außerhalb der Gefahrenzone der glühend heißen Diathermieelektrode. Er erwartet Wunder, wie Kai weiß.
    Anderthalb Stunden später arbeitet Kai, jetzt allein im OP -Saal, weiter, taucht die Gipsbinden in Wasser und wickelt sie um Fodays Bein. Das Bein ist jetzt gerade. Kais Hände arbeiten geschickt, glätten die glitschigen Binden. Fodays anderes Bein gleitet vom Tisch herunter. Kai geht herum und hebt es behutsam wieder hoch, wobei er Handabdrücke aus Gips auf dem Oberschenkel hinterlässt. Fodays Körper ist ihm so vertraut wie der einer Geliebten. Er nimmt ein feuchtes Tuch und tupft auf die kreidigen Abdrücke auf Fodays Oberschenkeln. Die Geschlechtsteile sind mit nassem Gips bespritzt, und Kai wischt auch diese sauber. Wenn er später, nachdem er nachgesehen hat, wie es in der Notaufnahme läuft, Zeit hat, schaut er vielleicht in der Station vorbei, nach Möglichkeit gleich, wenn Foday aufgewacht ist.
    Der Hang eines Hügels. Vor wie vielen Jahren? Fünf, sechs. Kai, Tejani und Nenebah. Zwei von ihnen bereiteten sich auf eine Prüfung vor: Lehrbücher und Vorlesungsnotizen, ein Picknick mit Pfefferhühnchen und roter Limonade. Sie waren nicht weit gegangen, gerade in die Hügel oberhalb des Campus. Dort hatten sie einen Blick auf die Stadt, auf die ausgedehnten Hafenanlagen. Der Geruch von vertrocknetem Gras. Tejani und er probierten Merksprüche an Nenebahs Körper aus.
    »C 5,6,7 «, sagte Kai, »lässt den Vogel fliegen.« Zwischen Nenebahs Schulterblättern hindurch, die einzelnen Wirbel als Stufen nutzend, stiegen Kais Finger ihren Rücken hinauf und spürten, wie die Muskeln sich bei der Berührung anspannten, bevor sie ihre Arme wie ein Vogel im Flug schwang.
    »Eine Läsion hat zur Folge, die Arme nicht mehr weiter als um neunzig Grad anheben zu können«, erwiderte Tejani, der, die Hände vor den Augen, auf dem Rücken lag. Kai legte die flache Hand auf Nenebahs Rücken. »Und resultiert in« – Tejani sprach jedes Wort für sich aus, langsam, stemmte sich gegen die Mühe des Erinnerns – »Scapula alata.« Er nahm die Hände von den Augen. Nenebah klatschte.
    »Das Exil ist qualvoll«, sagte Kai.
    »Diaphragma, Intercostales ex terni, Intercostales in terni, Quadratus«, antwortete Tejani. Kais Finger zeichneten Landkarten quer über Nenebahs Rippen.
    »Ich lechze nach Spinat.« Kai beugte sich zu

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