Lied aus der Vergangenheit
Wen interessierte das schon? Mich nicht. Ich trank mein erstes Glas aus. Ich dachte an Saffia und spürte den vertrauten Schock des Verlangens.
Meinem zweiten Whisky folgte ein dritter. In diesem Lokal verwässerten sie die Alkoholika, da würde es eine Kunst sein, sich zu betrinken. Also blieb ich und trank. Ich trank, um dem Regen zu entgehen. Ich trank, um nicht zu früh anzukommen. Ich trank, um zu verhindern, dass mein neues Hemd nass wurde. Vor allen Dingen trank ich, um den Augenblick, da ich wieder in Saffias Gesellschaft sein würde, qualvoll, lustvoll hinauszuzögern.
Das einzige Gesprächsthema in der Bar waren die bevorstehenden Ereignisse. Genauso in der ganzen Stadt, kein Entkommen. Es herrschte eine allgemeine unerschütterliche Zuversicht; glauben Sie mir, wenn ich das sage? Es waren Menschen ums Leben gekommen, das ist wahr. Aber Amerika war die Supermacht. Es war eine Zeit der Götter, und wir in Afrika waren bloße Sterbliche.
»Ich dachte, du hättest mich vielleicht vergessen.« Eine Frauenstimme, sanft und einschmeichelnd.
Ich drehte mich um. Ich brauchte einen Moment, um die junge Frau, die neben mir stand, einzuordnen. Sie bemerkte mein Zögern, ihre Augen flackerten in Richtung des Barkeepers, wie um festzustellen, ob er zusah. Ihr Lächeln blieb allerdings auf mich gerichtet. Es war das Mädchen aus der Bar, mit dem ich, nachdem ich zum ersten Mal allein bei Saffia gewesen war, die Nacht verbracht hatte. Ich hatte sie mit zu mir genommen. Ab dem Augenblick, da ich sie anschließend in ein Taxi gesetzt und ihr eine Geldsumme gegeben hatte, die ein wenig mehr als den Fahrpreis betrug, hatte ich keinen Gedanken mehr an sie verschwendet. Trotzdem, in meiner gegenwärtigen Verfassung entbehrte die Aussicht auf ihre Gesellschaft, auf die Ablenkung, die sie bieten würde, nicht eines gewissen Reizes.
»Hallo«, sagte ich. »Nett, dich zu sehen.«
Sie erwiderte: »Ich habe an dich gedacht. Und gehofft, du würdest versuchen, mich wiederzusehen.«
»Tja, und da bin ich. Was möchtest du trinken?« Ich gab mich nicht mit Ausreden ab, wozu auch? Wir wussten beide, worum es bei der ganzen Sache gegangen war. Sie konnte von mir aus so sittsam tun, wie sie wollte. Ich schnippte dem Barkeeper zu.
Warum ich das Mädchen in den Ocean Club einlud, weiß ich nicht. Ein Groll züngelte in meinen Eingeweiden. Vielleicht wollte ich Saffia schmähen. Ihre Liebe zu ihrem Mann, ihre unbefleckte Kühle, ihre Ehre, alles schien dazu gedacht zu sein, mich auf Abstand zu halten, und gestattete ihr doch, ganz nach Belieben Freundschaften mit Männern zu pflegen.
Und dann natürlich ihre Geräusche, an dem Abend, als ich die Stühle angeliefert hatte. Es brannte. Es brannte.
Als wir eintraten, saß Kekura an der Bar.
»Scharfes Hemd, Mann. Einen Moment lang dachte ich, Julius sei gerade hereingekommen.« Er sah das Mädchen an, wartete darauf, vorgestellt zu werden. Ich hatte ihren Namen vergessen, falls ich ihn je gewusst hatte.
»Hallo, mein Name ist Kekura. Kekura Conteh.« Er streckte ihr die Hand hin.
»Hallo«, erwiderte sie schüchtern. Ihren Namen sagte sie nicht, sodass wir beide so gescheit waren wie zuvor. Kekura glitt von seinem Hocker herunter, und das Mädchen setzte sich.
»Sind die anderen da?«, fragte ich.
»Nur Ade. Ich selbst werde nicht allzu lange bleiben. Ich muss rauf zum Haus fahren und mich vergewissern, dass alles funktioniert.«
Ich erinnerte mich, dass Kekura damit beauftragt worden war, für die audiovisuelle Unterhaltung zu sorgen, weil er beim staatlichen Rundfunksender arbeitete. Ich nickte. Mein Kopf pochte leicht. Ich wägte gerade ab, was eher dagegen helfen würde, ein weiterer Whisky oder ein Glas Wasser, als ich Julius und Saffia sah.
Der Ocean Club. Ich will Ihnen kurz beschreiben, wie es dort aussah. Eine halbkreisförmige Bar. Eine Tanzfläche, riesig und zum Himmel hin offen. Ringsherum Tische. Den Innenraum des Klubs erreichte man über eine geschweifte Treppe, die fast direkt auf die Tanzfläche führte, sodass jeder Neuankömmling sämtliche Blicke im Raum auf sich zog. Saffia trug ein blaues Kleid, dasselbe wie an dem Tag, als ich sie zum ersten Mal erblickt hatte. Ich beobachtete sie, wie sie herunterkamen, Julius einen Schritt voraus, genauso wie an dem Tag des Fakultätsfrauendinners, als er das Empfangsspalier lieber umgangen hätte und sie ihn durch die Berührung ihrer Finger wieder auf Kurs gebracht hatte.
Auch Kekura verstummte und schaute. Ich hatte
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