Lied aus der Vergangenheit
der Hand, im Zimmer herum, während Ade die jeweilige Qualität des Empfangs kommentierte. Kekura nahm sich einen Stuhl, stellte die Antenne auf ein Regal und trat zurück, um sein Werk zu begutachten. Julius ging zum Plattenspieler, ließ eine Schallplatte aus der Hülle gleiten und legte sie auf den Plattenteller. Der Klang einer von Gitarrenrhythmen begleiteten Männerstimme erfüllte den Raum. Das Mädchen fing neben mir an zu tanzen.
Heutzutage wird jeder, der alt genug war, um die Mondlandung bewusst zu erleben, einem erzählen, er könne sich genau erinnern, wo er in dem Moment gewesen ist. Meine Erinnerungen an jene Nacht sind so grobkörnig und lichtschwach wie das Bild, das auf dem Fernsehgerät erschien, das Kekura und Ade aufgestellt hatten. Große Teile jenes Abends sind mir nicht gegenwärtig, schon Augenblicke nach ihrem Stattfinden verloren, untergegangen in Selbstmitleid, Enttäuschung und Alkohol. Hier ist das, woran ich mich erinnere.
Um Mitternacht kamen noch immer Leute an. Ich wanderte von der Veranda zum Wohnzimmer und wieder zurück, vermied es dabei zumeist, mich in Gespräche verwickeln zu lassen, trank konsequent. Hier und da bekam ich im Vorbeigehen Gesprächsfetzen mit, wie ferne Rundfunksender.
»Halten Sie sich einen Hund. Besser als jede Versicherung.«
»In Boston soll es saumäßig kalt sein. Ja, bitte. Campari.«
»Sie fechten die Wahl jedes einzelnen Abgeordneten der Opposition an. Vor Gericht, sodass sich niemand beschweren kann. Aber es läuft auf dasselbe hinaus. Bald wird kein Einziger mehr übrig sein.« Kekura, wer sonst?
»Und wenn mit dem Raumschiff was passiert?«
»Wenn ihnen der Sauerstoff ausgeht, werden sie sterben.« Ade Yansaneh, unter dem Deckel seines Haaransatzes die Stirn runzelnd.
»Auberginen. Wie nennt ihr die hier noch mal? ›Garteneier‹. Find ich gut.« Die schwarze Amerikanerin.
Die ganze Zeit hielt ich heimlich nach Saffia Ausschau. Oh, sie war eine hervorragende Gastgeberin, wie ich, glaube ich, bereits erwähnt habe; sie kümmerte sich in allen Belangen um ihre Gäste, rief immer wieder den Kellner – den ich von der Universitätsmensa her wiedererkannte – herbei, damit er hier ein Glas nachfüllte, dort einen Aschenbecher leerte. Es gab Schälchen mit gewürzten Cashewnüssen und Salzstangen, im späteren Verlauf des Abends schmackhaften Erbsenbrei, olele genannt, handlich in Blätter gewickelt, und davon ganze Tabletts voll. Ich aß nichts.
Der Mondspaziergang sollte planmäßig um zwei Uhr früh beginnen. Ich bediente mich aus der Zigarettenschachtel, die auf dem Couchtisch stand. Das Fernsehgerät leuchtete, seit die anfängliche Begeisterung abgeklungen war, weitgehend unbeachtet, stumm vor einer Wand des Zimmers. Männer an Schreibtischen, die irgendetwas erzählten, Wiederholungen von Filmaufnahmen, die wir schon gesehen hatten. Ich stand da und starrte auf Bilder der Astronauten. Jetzt lief andere Musik, etwas Langsames und Melodisches.
Der Tänzer stand plötzlich neben mir: »Wenn man sie sich nur lang genug anschaut, fangen sie an, sich im Takt der Musik zu bewegen.«
Quatsch, dachte ich, obwohl er eigentlich gar nicht so unrecht hatte. Die Astronauten, die in die Kapsel stiegen, sich umdrehten und winkten, ihre Possen in der Schwerelosigkeit des Weltraums, schienen tatsächlich mit dem Rhythmus der Musik übereinzustimmen. Dasselbe traf bald auch auf die Moderatoren zu, ihre Gesten und Bewegungen. Je länger ich hinschaute, desto mehr sah es so aus. Nach ein paar Minuten lachte ich laut auf und drehte mich nach dem Burschen um, aber er war weggegangen. Ich schaute noch ein paar Minuten zu und lachte wieder. Irgendwann wurde mir ein bisschen schwindlig. Ich schüttelte den Kopf und schaute wieder auf den Bildschirm. Luft. Ich brauchte Luft. Ich ging hinaus auf die Veranda, an Ade vorbei, der mich fragte, ob mir nicht wohl sei. Ich fegte seine Hand weg. Ich sah Saffias Rücken. Habe ich Ihnen schon von ihrer sehr resoluten Haltung erzählt? Ja, absolut unnachgiebig, um genau zu sein. Ich drehte mich um und ging in die andere Richtung, rempelte dabei einen Stuhl an, wodurch eine kleine Menge meines Getränks der Frau, die auf selbigem Stuhl saß, auf den Rücken spritzte. Sie kreischte auf, fuhr herum und funkelte mich böse an. Ich nuschelte eine Entschuldigung, blieb aber nicht stehen.
Dann erinnerte ich mich an das Mädchen. Wen scherte es, dass ich Saffia nicht haben konnte? Es gab auch andere Frauen. Ich hatte nicht übel
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