Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lied aus der Vergangenheit

Lied aus der Vergangenheit

Titel: Lied aus der Vergangenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Forna
Vom Netzwerk:
Lust, Vanessa anzurufen – wie das zu bewerkstelligen wäre, war mir allerdings völlig schleierhaft. Ich nahm mir fest vor, das gleich am nächsten Tag zu machen. Nicht zu spät, es ließ sich noch alles richten. Fürs Erste gab’s das Mädchen. Wo war das Mädchen?
    Ich war im Garten. Ich kann mich nicht erinnern, die Treppe hinuntergestiegen zu sein. Es kam mir so vor, als wäre ich hinabgeschwebt: ein ätherischer, alkoholgetriebener Abstieg. Das Glas in der Hand, irrte ich durch das Labyrinth von Wegen. Der Mond gluckte beschützend im Zenit. Von drinnen war die jetzt lebhaftere Musik zu hören. Ich blieb stehen und lauschte. Dizzy Gillespie, konnte ich mit einiger Gewissheit sagen, einer von Julius’ Lieblingsmusikern. Auf mich, wie ich da so stand, fernab von aller Geselligkeit, hatte die Musik allerdings keine aufmunternde Wirkung. Irgendwann verweilte ich unter einem Baum und starrte empor zu den milchigen Schwaden von Sternen. So zu stehen, den Kopf so weit in den Nacken gelegt, wie es irgend ging, verursachte einen gewissen Gleichgewichtsverlust. Ich taumelte, streckte meine freie Hand nach dem Baum aus und stützte mich dagegen, während ich vorsichtshalber ein, zwei weitere Schlucke aus meinem Glas nahm.
    Nach einer Weile fühlte ich mich besser und beschloss weiterzugehen. Ich folgte dem Duft der Blumen und der Erde, ich bildete mir ein, ich könnte das Mondlicht riechen, reinen Sauerstoff. Ich erreichte die Stelle, an der die Harmattan-Lilien wuchsen. Mittlerweile war die Saison natürlich ganz und gar vorbei. Ich konnte Formen ausmachen, aufrecht und eckig wie Insekten, schwarz vor dem Mondlicht. Ich kippte den Rest meines Drinks hinunter, stand, mein leeres Glas an die Brust gepresst, da und starrte auf den Schattenriss der Blumen.
    Die Wahrheit, wenn Sie Wert darauf legen, ist, dass ich, wenn ich betrunken bin, zur Rührseligkeit neige. Habe ich Ihnen das schon gesagt? Ich stand da vor den Harmattan-Lilien, und aus irgendeinem Grund dachte ich an meine Mutter, an ihre letzte Krankheit. Und dann dachte ich an meinen Bruder, den Liebling meiner Mutter, der mir, als ich in England war, von ihrem Tod geschrieben hatte. Mir wurde bewusst, dass ich mich noch immer an meinem leeren Glas festhielt, und ich warf es in das Blumenbeet.
    Eine Bewegung. Jemand ganz in der Nähe. Ein Paar war in die Lichtung getreten. Offenbar nichts von meiner Anwesenheit ahnend, blieben sie stehen und schienen sich zu umarmen. Ich hörte Füßescharren und Atmen, ein Kichern und ein paar Worte der Ermutigung im Gewand einer Abweisung, wie Frauen sie so gebrauchen. Ich trat etwas näher und spähte durch die Dunkelheit nach den beiden. Der Boden war nach so vielen Wochen Regen weich und lautlos unter meinem Fuß. Als sie endlich aufschauten und mich sahen, war ich vielleicht noch einen Meter von ihnen entfernt. Es war genau so, wie ich gedacht hatte: das Kichern, die Stimme. Es war das Mädchen, das ich auf die Party mitgenommen und nach dem ich die letzte halbe Stunde gesucht hatte. Sie war mit irgendeiner zwielichtigen Gestalt zusammen. Ich geriet in Rage.
    Teile dessen, was danach geschah, sind mir noch immer, grell verschwommen, gegenwärtig. Ich erinnere mich, dass ich ihn provozierte. Man könnte sagen, dass ich schon von ihm provoziert worden war. Denn von welchem Mann kann man verlangen, dass er tatenlos zusieht, wenn ein anderer Mann Hand an seine Freundin legt? Jedenfalls lief die Sache irgendwie aus dem Ruder. Ich erinnere mich, dass ich einen Satz nach vorne machte und das Mädchen am Arm packte, als sie sich, entgegen meinem Befehl, nicht von ihm entfernte. Ihre Frechheit steigerte meine Empörung noch. Worte gingen hin und her. Ich hob einen Stock auf und drohte dem Mann Prügel an. Meine nächste Erinnerung ist, dass Julius da war und der andere Typ anfing, Ausflüchte zu machen und zu behaupten, er habe keine Ahnung, was in mich gefahren sei. Das Mädchen stand dabei und gab Flenngeräusche von sich. Völlig unnötig. Ihre Geräusche und Julius’ Anblick stachelten mich nur noch weiter auf. Ich beschimpfte sie alle wüst. Ich hob die Hand mit dem Stock – nicht um damit zuzuschlagen, sondern um ihn über ihre Köpfe hinwegzuschleudern. Julius versuchte, mich mit ausgestreckten Armen zu beschwichtigen. Ich kann mich nicht erinnern, ob es zu Handgreiflichkeiten kam. Ich glaube nicht. An dem Punkt verlor ich das Gleichgewicht und kippte rücklings um.
    Urplötzlich schlug alle Empörung in Fürsorglichkeit um.

Weitere Kostenlose Bücher